Rezension

Schopenhauers Schwester

Fräulein Schopenhauer und die Magie der Worte -

Fräulein Schopenhauer und die Magie der Worte
von Lucca Müller

 

Was für eine Zeit! Man darf den Vater nicht unaufgefordert ansprechen. Ich habe den Roman um Adele Schopenhauer mit großer Spannung gelesen.

Nach dem Tod ihres Mannes zieht die vermögende Johanna Schopenhauer nach Weimar. Hier in dieser Stadt sind die Größen der damaligen Literatur versammelt. Während Adele mit ihr kommt bleibt Artur zurück in Hamburg. Die Zerrüttung der Familie nimmt ihren Anfang. Johanna ist vom kulturellen Leben der Stadt angetan und eröffnet einen Literatursalon. Als Gastgeberin empfängt sie auch häufig Goethe in ihrem Haus. Der Dichterfürst ist vor allem von Adele herzlich zugetan, er beschäftigt sich mit dem Mädchen und bittet sie sogar ihm ‚Vater‘ zu nennen. Goethe schätzt vor allem Adeles Papierschnitte, die er sammelt und mit poetischen Kompositionen an Freunde verschenkt. Eine enge und liebste Freundin wird der jungen Adele Ottilie von Pogwisch, die sich später mit Goethes einzigen Sohn August von Goethe vermählt. Der Sohn des Dichterfürsten leidet unter der Größe seines Vaters. Adele beschreibt ihn als geistlos, mürrisch und man sieht ihn selten nüchtern. Die Ehe der beiden verläuft nicht glücklich. Er ist eifersüchtig und wird oft handgreiflich und Ottilie hält es mit der Treue nicht so genau.

Mit Geld kann Johanna Schopenhauer nicht umgehen, selbst nachdem sie 70% ihres Vermögens durch den Bankrott des Bankhauses Muhl verloren hat, gibt sie das Geld mit beiden Händen aus. Das führt zu finanziellen Engpässen. Sie kommt auf die glorreiche Idee, Adele mit ihrem langjährigen Hausgast Gerstenbergk zu vermählen, um ihre Geldprobleme zu lösen. Als Adele dieses Ansinnen ausschlägt, kommt sie auf andere Lösungen, ihre Schulden in den Griff bekommen und fängt an Romane zu schreiben. Mit großem Erfolg. Sie scheint damit den Nerv der Zeit getroffen zu haben.

Auch Artur bringt sein erstes Buch heraus. Adele versucht ja immer wieder einen Draht zu ihrem Bruder zu bekommen. Bei einem Besuch erfährt sie, er hat eine Nachbarin die Treppe runtergestoßen und mit seiner Dienstmagd hatte er ein Kind. Aber nachdem das Kind verstorben ist, hat er ihr eine neue Stellung verschafft. Diese Kälte ihres Bruders betrübt Adele sehr.
Und Gerstenbergk hat sich bei mir ja nicht unbedingt Sympathien erworben. Er tröstet sich sehr schnell mit einer anderen, nachdem Johanna einen Schlaganfall erlitt.

Auf den weiteren Verlauf möchte ich nicht näher eingehen, um nicht zu viel zu verraten. Mir hat das Buch jedenfalls sehr gefallen. Ich habe einen Einblick in die damalige Zeit des gehobenen Bürgertums erhalten. Die Autorin schreibt sehr anschaulich in der dritten Person und sprachlich der Zeit angepasst. Man bekommt als Leser ein Feeling dieser Zeit. Die Charaktere sind authentisch gezeichnet, ein Kopfkino entsteht.

Adele und Johanna sind beide faszinierende Persönlichkeiten. Der große Philosoph und Hochschullehrer Arthur Schopenhauer wird als ein Unsympath gezeichnet, der er anscheinend auch wirklich war. Ich habe im Netz nachgelesen, dass er ein alter Grießgram und Pessimist war. Trotzdem habe ich große Achtung vor seinem Lebenswerk.

Die Lebensumstände der Frauen dieser Zeit empfand ich als erschreckend. Von Frauenrechten und Emanzipation war man weit entfernt. So reisten Frauen z. B. noch in Männerkleidung, um vor zudringlichen Männern sicher zu sein. Der Freiheitsdrang von Johanna erscheint mir deshalb als außerordentlich mutig. Sie erkämpft sich ihr unangepasstes Leben, ebenso wie es Adele später tut und einige Frauen, denen wir im weiteren Verlauf der Geschichte begegnen, z.B Annette von Dorste-Hülshoff oder Sibylle Mertens-Schaaffhausen.

Fazit: Eine rundum gelungene Romanbiographie, die ich gerne weiterempfehle.