Rezension

"...und der Verstummte findet Besänftigung im geschriebenen Wort."

Die Infantin trägt den Scheitel links - Helena Adler

Die Infantin trägt den Scheitel links
von Helena Adler

Bewertet mit 4.5 Sternen

(Zitat aus dem Buch Seite179)

Mit distanzierter Wut erzählt die selbsternannte Infantin von ihrer Kindheit und Jugend auf dem alten Hof ihrer Eltern in einem österreichischen Dorf. Die Urgroßeltern bewohnen den ersten Stock, die Großeltern zählen nebst anderen Verwandten zu den Nachbarn. Das Leben spielt sich weitgehend in dieser Umgebung ab, die Welt besteht aus Geschichten und Sprüchen der Alten, die Erziehung übernimmt die schicksalsergebene Mutter. Der Vater überschüttet, mangels männlichen Nachkommen, die Jüngste mit den Freuden des Laissez-faire. So fackelt sie gleich zu Anfang die Scheune des Anwesens ab und wird den Ansichten der Dorfgemeinschaft, sie sei eine Teufelsbraut, nur gerecht.
Die beiden Hunde sind für sie ihre Wolfseltern, Blitz und Donner die angemessene Kulisse für die sie umgebenden Dämonen und Menschenfresser. Ihre älteren Zwillingsschwestern hingegen nennt sie Pest und Cholera, wahlweise auch Pech und Schwefel. Die blond gelockten Eiskunstläuferinnen machen ihr Höllenleben perfekt.

Mit ungewöhnlich kraftvoller Sprache zerlegt Helena Adler eine Dorfidylle und hebt Kapitel um Kapitel das flohverseuchte und gottesfürchtige Mittelalter in die Gegenwart von Tschernobyl und Drogenkonsum. Missbrauch, Gewalt und Inzucht verwebt sie als zeitlose Zeugen in das unverwüstlich scheinende Geflecht aus Tradition und Fortschritt. Der Neubau des Elternhauses hält Einzug, Knast und Pschychiatrie der Eltern Auszug und die Pflichtteilsverzichtserklärung auf Haus und Hof der Jüngsten Entzug.

Zurück bleibt ein krachendes und dampfendes Stück Erinnerung, dessen ganzes Ausmaß der Verwüstung erst mit einem letzten Bild aus den Hinterlassenschaften des Vaters klar wird. Die Infantin trägt den Scheitel links und damit das ganze Risiko ihres Handelns. Der Weitblick für die Konsequenzen fehlt, dafür ist der Rückblick um so eindrucksvoller. Das geschriebene Wort ist mit den Stummen, die Gedanken daraus sind laut und deutlich. Respektlos, frech und einzig der Wahrheit verpflichtet. Möge die Heilung der Wunden beginnen.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 22. Januar 2023 um 16:33

4.5 Punkte? Gut, ich vertraue dir. Hätte aber gedacht, das sei ein Buch, dessen Lektüre sich eher nicht lohnt. Das beste am Buch sei der Titel.