Rezension

Verlassene Kinder in einem Dorf - wer, wann, wo, weshalb erschließt sich nicht. Eine Dystopie, die mehr Fragen als Antworten aufwirft.

Wir verlassenen Kinder - Lucia Leidenfrost

Wir verlassenen Kinder
von Lucia Leidenfrost

Bewertet mit 2 Sternen

In einem Dorf sind nur noch wenige Häuser bewohnt. Die allermeisten Erwachsenen hab es verlassen, übrig geblieben sind die Kinder und ein paar wenige Großeltern, die sich noch so gut es geht, um sie kümmern. Die Erwachsenen haben das Dorf verlassen, um in der nächsten Stadt Arbeit zu finden. Offenbar schwelt ein Konflikt, der sich zu einem Krieg ausweiten könnte. 
Die Kinder sind zunehmend auf sich alleingestellt. Die Pakete aus der Stadt und auch die Nahrungsmittel werden weniger. Die Kinder beginnen damit ihre eigenen Regeln aufzustellen, denn ohne einen geregelten Tagesablauf herrscht keine Struktur mehr. Mila, die Tochter des Bürgermeisters, der immer noch die Stellung hält, beugt sich nicht den Regeln. Sie glaubt nicht mehr daran, dass die Erwachsenen zurückkehren werden, bricht in leerstehende Häuser ein und bedient sich dort an den Utensilien. Das erzürnt die anderen Kinder und macht sie zur Außenseiterin. Mila bleibt jedoch standhaft. Ihr Traum ist es, Lehrerin zu werden und die Kinder zu unterrichten, um ihnen eine Perspektive zu geben. 

Der Roman ist aus der Sicht der Kinder - ein kollektives "Wir" - aus der Perspektive von Mila und vereinzelten Erwachsenen geschildert, die auch rückblickend von der Zeit im Dorf berichten. Dabei kommt insbesondere die Brutalität der Kinder zutage, die so erschreckend ist, dass man sich fragt, ob es nicht die Kinder gewesen sind, die die Eltern vertrieben haben. 

Das Dorf ist fiktiv und es ist nicht möglich, die Situation einer bestimmten Zeit oder einem bestimmten Ort zuzuordnen. Fakt ist nur, die Kinder wurden verlassen und je weniger Erwachsene übrig sind, desto weniger kommen die Kinder mit der Situation zurecht. Warum die Eltern das Dorf wirklich verlassen hab, ob tatsächlich irgendwo Krieg herrscht und warum sich aus der Stadt oder Regierung niemand darum kümmert, ist unklar. Auch die Rolle des Bürgermeisters, der zumindest die Funktion eines Regierenden hat, ist hinreichend unbestimmt. 

"Wir verlassenen Kinder" ist eine Dystopie, die auf wenigen Seiten in einer bildhaften, metaphorischen Sprache ein düsteres Szenario zeichnet. Da der Hintergrund des Verlassenwerdens im Dunkeln blieb, hatte ich Schwierigkeiten, Gefallen an der Geschichte zu finden. Auch fand ich schade, dass die Protagonisten, insbesondere die verbliebenen Kinder, namenlos blieben, obwohl man aufgrund der geringen Anzahl an Personen einige Charaktere hätte hervorheben und ihnen ein Gesicht geben können. So gab es nur Mila und ein anonymes "Wir". Dabei empfand ich es als unrealistisch, dass sich innerhalb des Wir keine Struktur herausbildete. Es gab keine erkennbare Gruppendynamik oder Rollen, die die Kinder typischerweise eingenommen hätten. 
Die Geschichte ist zudem weder spannend noch empathisch erzählt. Das Dorf, das im luftleeren Raum zu schweben scheint, und die Einzelschicksale bewegen nicht. Am Ende bliebt dem Leser ein enormer Interpretationsspielraum hinsichtlich der Sinnhaftigkeit dieser Parabel (?). Ich hatte mehr Fragen als Antworten.