Rezension

Verstörend

Und es schmilzt - Lize Spit

Und es schmilzt
von Lize Spit

Viele Jahre lang war Eva nicht mehr in dem Dorf, in dem sie aufgewachsen ist. Nun erhält sie die Einladung eines ehemaligen Klassenkameraden: Zum Gedenken an seinen verstorbenen Bruder und zur Einweihung einer Melkanlage. Und tatsächlich macht sie sich auf den Weg. Denn die Vergangenheit hat sie nicht losgelassen, und sie muss noch etwas zu Ende bringen. Im Kofferraum ihres Autos transportiert sie einen riesigen Eisblock, den sie dafür benötigt.

Das Rätsel um den Eisblock löst sich erst spät. Erst nach und nach erfährt der Leser, was Eva erlebt hat, was sie verletzt und zutiefst verstört hat. Wie ein Puzzle setzen sich die einzelnen Teile zusammen. Die Autorin Lize Spit benutzt dafür drei Erzählperspektiven, die turnusmäßig abwechseln. Die erste Ebene ist die Gegenwart, beginnend mit der Überschrift 9.00 Uhr, endend mit der letzten um 20.00 Uhr. Wir begleiten Eva auf ihrer Fahrt, bei ihrer Ankunft und bei ihren Vorbereitungen. Was nach 20.00 Uhr geschehen wird, bleibt der Phantasie des Lesers überlassen. Die zweite Ebene erzählt von dem Sommer nach Jans Tod, betitelt mit "4. Juli 2002" bis "10. August 2002". Wir erfahren von Evas Erlebnissen mit ihren beiden Freunden Pim und Laurens: Als einzige Kinder dieses Jahrgangs verschwören sie sich zu einer Gemeinschaft, den drei Musketieren, die in der Kindheit fest zusammenhalten. Doch die Verbundenheit geht nach und nach verloren, als die Pubertät einsetzt. Die Jungen sind von ihrem sexuellen Interesse an Mädchen getrieben und denken sich ein Spiel aus, für das Eva als Helferin dringend erforderlich ist. Die dritte Ebene, mit Überschriften von "Vier Schatten" bis "Beschädigungen" erzählt von Evas Erlebnissen zu Hause: Vater und Mutter sind Alkoholiker, die mit dem Leben und ihren drei Kindern überfordert sind. Der ältere Bruder Jolan flüchtet in die Untersuchung toter Insekten, die jüngere Schwester Tesje entwickelt immer kompliziertere Zwangshandlungen. Eva ist überfordert. Auch wenn die Lehrerin oder die Nachbarn sehen, was in dieser Familie nicht stimmt, greift doch niemand ein und hilft ihr. 

Immer wieder kreisen Evas Gedanken um Jans Tod, und der Leser erwartet die dramatische Enthüllung eines Geheimnisses. Viel verstörender sind jedoch die Ereignisse des Sommertages, als das Spiel seinen Höhepunkt erreicht. Kompromisslos und ohne Schonung beschreibt Spit die Handlung - für mich kaum erträglich. Hier werden die losen Enden verknüpft, und der Leser versteht nicht nur, was Eva mit dem Eisblock vorhat, sondern auch warum.

Ein verstörendes Buch, das den Leser fordert. Ein Debutroman, den ich so schnell nicht vergessen werde.