Rezension

Vom Verrat des Buchzuklappens

Die rechtschaffenen Mörder - Ingo Schulze

Die rechtschaffenen Mörder
von Ingo Schulze

Ist der Dresdner Antiquar Norbert Paulini eine tragische Figur oder ein Mörder? In seinem neuen Roman "Die rechtschaffenen Mörder" erzählt Ingo Schulze mit großer Sogwirkung, wie sich Deutschland seit 1989 verändert hat, wodurch viele Menschen ins Straucheln gerieten und warum unser Land heute so aussieht, wie es aussieht.

Ingo Schulzes Roman „Die rechtschaffenen Mörder“ schildert – anfangs in beinahe märchenhaftem Erzählton – die Geschichte des Dresdner Antiquars Norbert Paulini, einem verschrobenen Bücherwurm im besten Sinne. Der Eigenbrötler und literarische Schöngeist Jahrgang 1953 tritt das Erbe seiner Mutter an, den riesigen Buchbestand eines Antiquariats. Das scheint für ihn die einzig mögliche, aber auch die einzig richtige Entscheidung, denn Paulini will nichts mehr sein (eigentlich auch von Beruf) als ein Leser. So kommt er unbeschadet (und ohne finanzielle Nöte) durch seine DDR-Jahre, wobei seine Ladenwohnung unbeabsichtigt und ohne sein Zutun sogar zu einem verdächtigen Treffpunkt des intellektuellen Bürgertums wird.

 

Die Wende zerstört mit Vehemenz dieses Biotop zwischen Plattenbau und DDR-Industrie. Dem Büchernarren wird alles genommen: Erst verliert er seine Kunden, dann seine Frau, die sich als Stasi-Spitzel herausstellt. Sein Haus, das Heim und Laden zugleich ist, holen sich nach 45 enteignete Wessis zurück. Er ist verarmt und muss sogar bei Netto an die Kasse. Selbst seine heiß geliebten Bücher kann er nicht retten:  sie verschlingt 2006 die Elbeflut.

 

Bemerkenswert an dem Buch ist seine Struktur. Teil 1, dem etwa 300 Seiten umfassenden Hauptteil, endet mit einem schrecklichen Verdacht: Paulini könnte sich mit Ausländerfeinden zusammengetan, sich an Verbrechen beteiligt, womöglich sogar einen Mord begangen haben.

In Teil 2 schildert ein Schriftsteller namens Schultze (Achtung mit "t" geschrieben) seinen Blick auf Paulini, den dritten und kürzesten Teil erzählt die Lektorin, die das Buch bearbeitet, das Schultze über Paulini geschrieben hat.

 

Drei Aspekte machen Ingo Schulzes (Achtung ohne "t") Buch ganz besonders: Da ist zunächst die große Sogwirkung seines Erzählstils, die es ungemein schwer macht, den Roman wegzulegen. Außerdem leidet man schnell mit dem Helden mit. So sehr, dass es einem Verrat gleichkäme, das Buch zuzuklappen und Paulini allein zu lassen.

Zudem besticht der Roman dadurch, wie leicht er es dem Leser macht, Paulini sympathisch zu finden und zu mögen. Der alltagsuntaug­liche Bücherfreund wirkt aus der Zeit gefallen wie sein Antiquariat. Umso mehr erhofft man für ihn ein Happy End. Dass das wohl nicht kommen kann, macht es nicht leichter: Nicht für Paulini, aber auch nicht für die Leser.

Doch wie entsetzlich, wenn in einem die Erkenntnis reift, dass der vermeintliche Held vielleicht doch nur ein rechtsradikaler Verbrecher ist...

 

PS: Das Einzige, was ich an diesem wirklich beeindruckenden Buch gestört hat, ist sein Titel. Da es keine rechtschaffenen (also keine ehrlichen und anständigen) Mörder geben kann, haben Verlag und Autor für einen reißerischen Titel ein Stück weit die Rechtschaffenheit des Romans geopfert! Schade!