Rezension

Von der Suche nach Heimat und uns selbst.

Jahresringe - Andreas Wagner

Jahresringe
von Andreas Wagner

Bewertet mit 5 Sternen

Chapeau, Andreas Wagner für dieses Debüt eines Familienepos'. Ein besonderer Heimatroman über die eindringliche Suche nach Heimat. Eine große deutsche Familiengeschichte am Rand des Hambacher Forstes. Als junges Mädchen flieht Leonore aus Ostpreußen in den Westen und verliert dabei nicht nur ihre Familie, sondern auch ihre Heimat. Leonore hat nur ein Ziel vor Augen: den Westen. In einem kleinem Dorf umgeben von Bäumen findet sie ein neues Zuhause für sich und ihren späteren Sohn. In diesem kleinen Ort zwischen Köln und Aachen, in dem sie ein Zuhause und Arbeit findet, bleibt sie zeit ihres Lebens eine Fremde. Einzig im riesigen Bürgerwald fühlt sie sich geborgen. Für Leonore Klimkeit ist Heimat vor allem dieser Wald nahe des kleinen Dorfes, in dem die aus Ostpreußen Vertriebene Zuflucht gefunden hat. Zwischen den hohen Bäumen findet sie Trost und neuen Lebensmut. Doch als Leonores Sohn Paul zwölf Jahre alt ist, muss der Wald dem Braunkohle-Tagebau weichen, das Dorf wird umgesiedelt. Eine Kleinigkeit für den Kohlekonzern, für die Bewohner ist es jedoch ein Verlust, der sich über Generationen vererben wird. In einer Neubausiedlung am Rand der Kreisstadt versucht Leonore, für Paul und später die Enkel Jan und Sarah eine neue Heimat zu schaffen. Jahre später zieht Paul in dem seelenlosen Neubaugebiet zwei Kinder groß, Leonores Enkelkinder Sarah und Jan, die sich schließlich als Gegner in verfeindeten Lagern  gegenüberstehen. Die immer weiter fortschreitende Rodung des Waldes treibt jedoch einen tiefen Keil in die Familie: Denn während Jan einen der gigantischen Schaufelradbagger des Braunkohle-Konzerns steuert, schließt sich seine Schwester Sarah den Wald-Besetzern im Hambacher Forst an. Hier müssen sie entscheiden, wie sehr sie bereit sind, für ihre Heimat zu kämpfen.
Das Buch erzählt die Geschichte einer Familie, die versucht ihre Wurzeln und Heimat zufinden ohne sich dabei selber zu verlieren. Dieses Wissen, dass man eigentlich nicht erwünscht ist. Zu Wissen, dass die Heimat verloren ist. Wird es jemals eine neue Heimat geben? Das bringt der Autor sehr gut rüber. Dabei schafft er es ohne Ausschweifungen und mit viel Emotionen das Schicksal dieser Familie darzustellen. Gleichzeitig zeichnet er ein Stück der (Nachkriegs)Geschichte Deutschlands und des Hambacher Forstes, welche uns bis heute bewegt. Eine Geschichte von drei Generationen, deren Leben vom Braunkohlabbau am Niederrhein geprägt ist, bekommt Aktualität durch die Ereignisse am Hambacher Forst, die in diesem Buch eine zentrale Rolle spielen. Unaufgeregt und einfühlsam erzählt Andreas Wagner in seinem Debütroman eine berührende Familiengeschichte, die immer wieder die Frage stellt: Was ist Heimat? Eine Bemerkung zu dem schlichten Cover, die Jahresringe von Bäumen findet man bei genauer Betrachtung im Einband wieder, in der Mitte durch den Buchtitel, ein zartes entwurzeltes Maiglöckchen in voller Blüte, das sich genau so durch die ganze Geschichte zieht. Dieses ganz besondere Buch, das lange lange nachhallt, werde ich ganz bestimmt nochmal lesen. Eine sehr reale lebendige Geschichte, einfühlsam und spannend.