Rezension

Was geschah mit Tessi?

Der Buchhändler -

Der Buchhändler
von Petra Johann

Bewertet mit 5 Sternen

Erik Lange ist neu in der bayerischen Kleinstadt Neukirchen, Ortsteil Schönblick. Gerade erst von Frau und Tochter getrennt, möchte er hier einen neuen Lebensabschnitt beginnen und übernimmt in Neukirchen eine renommierte Buchhandlung. Da seine Eltern ebenfalls eine Buchhandlung besitzen, kennt er sich auf diesem Gebiet bestens aus und fasst schnell Fuß in seinem neuen Laden. Erik ist ein geselliger Mensch, findet schnell Anschluss und wird Mitglied des Volleyballclubs. Als eines morgens die 9jährige Tochter eines seiner neuen Freunde verschwindet, stellt sich für Erik gar nicht die Frage, ob er bei der Suche mithilft oder nicht, er fühlt sich der Familie von Theresa verbunden. Während fast die ganze Einwohnerschaft von Schönblick nach der verschwundenen Tessi sucht, tragen Hauptkommissarin Judith Plattner und ihre Kollegin Pia Meyer die Fakten zum Fall zusammen. Schnell kristallisiert sich heraus, dass der Täter im persönlichen Umfeld des Mädchens zu suchen ist.

Social Media können sowohl Fluch als auch Segen sein und so wird gerade jetzt, als die Einwohner von Schönblick nach einem Schuldigen suchen, ein Detail aus Eriks Vorleben bekannt. Sofort wendet sich das Blatt, aus vorheriger Sympathie wird Misstrauen und „der Neue“ gerät in den Fokus. Natürlich kann es nur Erik sein, der für das Verschwinden der 9jährigen Tessi verantwortlich ist.

Kommt auch die Polizei zu diesem Ergebnis?

Petra Johann ist für mich keine unbekannte Autorin, ich habe jeden ihrer bisher veröffentlichen Kriminalromane gelesen. Mit „Der Buchhändler“ legt sie ihren ersten Thriller vor und ich wurde auch dieses Mal vom Inhalt nicht enttäuscht.

Die Autorin nimmt sich sehr viel Zeit ihre Protagonisten vorzustellen und in die Geschichte einzuführen, allen voran Erik Lange. Ebenso beschreibt sie die Atmosphäre des Kleinstadtlebens, was den Einstieg in die Geschichte durchaus etwas langatmig macht. Wer den Stil von Petra Johann kennt, der weiß aber, dass diese ausführliche Beschreibung nicht ohne Hintergrund geschieht.

Die Geschehnisse werden einerseits aus der Sicht von Erik Lange beschrieben, andererseits von einem neutralen Beobachter. Man erfährt, dass Erik von seiner Frau getrennt ist, die beiden eine Tochter haben und, dass das Verhältnis zu seiner Tochter sowohl gut, aber auch irgendwie kompliziert ist. Den Grund für die Trennung und warum Erik in einer anderen Stadt einen Neuanfang wagt, erfährt man – zuerst einmal – nicht.

Erik hat sich schnell eingelebt, er ist offen, sozialkompetent und hat keinerlei Berührungsängste. So findet er schnell Anschluss, aber natürlich wissen seine neuen Freunde nur das über seine Vergangenheit, was Erik bereit ist zu erzählen. Manche Freundschaften funktionieren aber durchaus auch, wenn man nicht jedes einzelne Detail aus der Vergangenheit des Anderen kennt. Genau während – oder gerade wegen – der Suche nach Tessi wird ein Detail aus Eriks Vergangenheit bekannt und nun schildert Petra Johann sehr eindrücklich, wie schnell und vehement sich eine Gruppe von Menschen auf einmal gegen eine einzelne Person stellen kann. Ohne zu hinterfragen, ob es sich bei diesem Detail um die Wahrheit oder Fake-News handelt, richtet sich nun die komplette negative Energie dieser Dorfgemeinschaft gegen „den Neuen“. Ist der Mob einmal aufgewiegelt, so schreckt er auch vor Selbstjustiz nicht zurück.

Während die Dorfgemeinschaft glaubt den Täter schon zu haben, ermitteln die beiden Polizeibeamtinnen weiter im engsten Umfeld der vermissten Kleinen und irgendwie hat jeder der Bewohner von Neukirchen etwas zu verbergen.

Durch die sehr ausführliche Vorstellung der Charaktere hat man als Leser das Gefühl ein Mitbewohner dieses kleinen Ortsteiles zu sein. Die Beschreibungen der Personen sind sehr real und auch die Gefühle, die sich nach und nach gegen Erik richten, sind fast greifbar. Die beiden Ermittlerinnen sind mir sehr sympathisch. Judith Plattner war wegen eines persönlichen Trauerfalles ein Jahr nicht mehr im Dienst und Pia Meyer entspricht zwar figürlich nicht unbedingt dem Idealbild einer Polizistin, aber das macht sie dadurch wett, dass sie in ihrem Beruf ihre Berufung gefunden hat.

Was mir bei allen Büchern von Petra Johann gefällt ist, dass sie ohne großartige Blutorgien auskommt und den Leser immer mit ausreichend Spannung versorgt. Auch wenn das für mich nicht ein typischer Thriller ist, so hat die Geschichte ihren ganz eigenen Sog entwickelt, der mich immer weiterlesen ließ. Es war irgendwie klar, dass die Auflösung der Geschichte eine andere sein muss und doch hat es mich überrascht, was letztendlich mit Tessi passiert war.

Wenn man sich am Anfang von den Längen nicht abschrecken lässt, bekommt man hier eine wirklich spannende Lektüre.