Rezension

Wenn nicht sein darf, was geschehen ist

Ein falsches Wort
von Vigdis Hjorth

Bewertet mit 5 Sternen

Die Theaterkritikerin Bergljot hat vor 23 Jahren den Kontakt zu ihrer Familie abgebrochen und auch den ihr nahestehenden Bruder Bård seit Jahren nicht gesehen. Sie ist Mutter dreier erwachsener Kinder und hat bereits Enkelkinder. Damals eskalierte ein sorgsam unterdrückter  Familienkonflikt, als die älteste Tochter endlich aussprach, dass sie als Sechsjährige sexuelle Gewalt durch ihren Vater erlitt und ihre Mutter sie im Stich ließ, um die finanzielle Versorgung durch die Ehe nicht zu gefährden. Der Patriarch war ein Exemplar nach dem Motto „nicht gemeckert ist genug gelobt“, unter dessen Missachtung besonders der einzige Sohn litt. Die Tochter erhielt das Etikett psychisch auffällig.  

Die damalige Überschreibung der beiden Ferienhütten  auf der Insel Hvaler allein an die jüngeren Töchter benachteiligte Bergljot und Bård, da ihre Ausgleichszahlungen viel zu niedrig kalkuliert waren. Die Hüttenfrage war Symptom  toxischer Kommunikation der Familie, in der bis in die Gegenwart jede Äußerung der „B-Kinder“ negativ ausgelegt wurde und die um die Eltern bemühten „A-Töchter“ sich über die aus ihrer Sicht unangemessen große Beachtung der Älteren  empörten.

Mails, Anrufe und Rückblenden in die Kindheit zeigen aus der Sicht der Icherzählerin Bergljot ein System, das sich allein um die Vertuschung der sexuellen Gewalt des Vaters drehte.  Die beiden älteren Kinder fühlten sich im Vergleich mit den „braven“ jüngeren Töchtern nicht wahrgenommen  und mieden als Erwachsene gemeinsame Ferien mit den Eltern, was in der Erbfrage zu ihrem Nachteil ausgelegt wird.

Durch die Kommunikation mit ihrer Tochter Tale und ihrer Freundin Klara (die beide mit klarer eigenständiger Stimme sprechen) erhält die Handlung zusätzliche Tonspuren, die Bergljots  Glaubwürdigkeit untermauern. Genau diese klare Haltung hat ihr als Kind gefehlt. Das Auffächern der Motive der Mutter schließlich gibt Einblick in Strukturen, die Straftäter schützen und dem Opfer die Verantwortung für die Tat zuschieben.

Der Roman, der in Norwegen einen Skandal los trat, lässt sich flüssig lesen und kann ein Augenöffner sein.

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„Ein falsches Wort“ ist auf Deutsch bereits 2017 unter dem Titel „Bergljots Familie“ bei Osburg erschienen.