Rezension

Zwischen Adlon Dekadenz und den Abgründen der NS-Zeit

Die marmornen Träume -

Die marmornen Träume
von Jean-Christophe Grangé

Grangé führt seine Leser Stufe um Stufe tiefer in die dunkelsten Abgründe der menschlichen Natur.

Der Marmormann geht um. Im Berlin des Jahres 1939 scheinen die gut situierten Damen des Wilhelmklubs keine anderen Sorgen zu kennen als die Wahl ihrer Kleidung und die Qualität ihres Champagners. Als Ehefrauen hochrangiger Nazi-Funktionäre gelten die schönen Damen dieses exklusiven Zirkels, der täglich im Adlon Hotel zusammentrifft, als unantastbar. Ein Schein, der sich nur so lange aufrechterhalten lässt, bis eine von ihnen brutal ermordet am Spreeufer aufgefunden wird. Schon bald folgen auf das erste weitere Opfer und den mit dem Fall betrauten Gestapo-Ermittlern wird klar, ein brutaler Mörder hat es auf die Juwelen der NS-Elite abgesehen. Doch was ist das Motiv für die Morde? Was haben die Spuren am Tatort zu bedeuten? Und wie konnten die gut bewachten Damen vor aller Augen aus dem Adlon verschwinden? Der einzige Anhaltspunkt, zur Lösung dieser Rätsel, stellt sich indes als das schwerste von allen dar. Jedes der Opfer hat kurz vor ihrem Tod von einer sonderbaren Traumerscheinung berichtet. Ein schauriges Phantom mit marmorner Maske.

Jean-Christophe Grangé hat sich mit Werken wie „Die purpurnen Flüsse“ schon lange ins Herz vieler Thriller-Fans geschrieben. Mit „Die marmornen Träume“, seinem ersten historischen Berlin-Thriller, scheint sich schon bald ein weiteres seiner Werke in die Reihe von Bestsellern einfügen zu können. Das Potential ist da.

„Die marmornen Träume“ ist in meinen Augen ein unfassbar guter Thriller. Hervorragende Recherche, die menschlichen Abgründe, denen man begegnet, die fragwürdigen Protagonisten, die unerwarteten Wendungen – all das und noch mehr vermengt sich hier zu einer einzigartigen Melange von bemerkenswerter Qualität.
Der Schreibstil Grangés lässt schnell eine düstere und drückende Atmosphäre entstehen und entwickelt zugleich einen unwiderstehlichen Sog, der mich Seite um Seite umblättern lies, ohne auch nur an eine Pause zu denken. Die Erzählperspektive wechselt dabei zwischen drei sehr unterschiedlichen Charakteren. SS-Hauptsturmführer Franz Beewen, der brillante Psychoanalytiker und Gigolo Simon Kraus und die regimekritisch eingestellte Psychiaterin und Gräfin Minna von Hassel haben in der Tat nicht viele Schnittstellen, doch dem Autor ist auf geschickte Weise gelungen dieses gegensätzliche Ermittlertrio zusammenzuführen.

Ich will ehrlich sein, trotz der hervorragenden Erzählweise ist dieses Buch wegen seiner Thematik nicht einfach zu lesen. Zumindest galt das für mich. Man befindet sich quasi im Herzen der NS-Elite, ist konfrontiert mit tumber Befehlsbefolgung, zur Alltäglichkeit verkommenen Gewaltexzessen, Kriegsgewinnlern, Rassenhass und Eugenik. Grangé führt seine Leser Stufe um Stufe tiefer in die dunkelsten Abgründe der menschlichen Natur.

Dennoch, es lohnt sich, sich auf die Geschichte einzulassen. Schon früh legt die Handlung ein rasantes Tempo vor und jedes Mal, wenn ich den Eindruck hatte der Fall nähere sich einer Lösung, kam eine Wendung, die alles auf den Kopf stellte, was ich zu wissen glaubte. Bis zuletzt wollen die zahlreich gestreuten Hinweise nicht zusammenpassen, bis sich in einem verheerenden Finale die wahre Größenordnung hinter den Taten ein für alle Mal offenbart.

Meiner Meinung nach, ist „Die marmornen Träume“ ein Thriller, den man auf keinen Fall verpassen sollte.