Rezension

Beeindruckendes Debüt

Zweistromland -

Zweistromland
von Beliban Zu Stolberg

Bewertet mit 4.5 Sternen

MEINE MEINUNG

In ihrem äußerst beeindruckenden Romandebüt *Zweistromland* erzählt die Drehbuch- und Debütautorin Beliban zu Stolberg eine bewegende, sehr nachdenklich stimmende Familiengeschichte und die berührende Suche einer jungen Frau nach ihren familiären Wurzeln und ihrer Identität.
Mit ihrem wundervoll poetischen, sehr atmosphärischen Schreibstil zieht uns die Autorin in ihre tiefgründige Geschichte hinein, die uns von der autokratischen Türkei im Jahr 2016, über die deutsche Nordseeküste in den 1990er Jahren bis an den sagenumwobenen Tigris in der Südost-Türkei führt.
Im Mittelpunkt des fesselnden Romans steht die deutsch-türkische Protagonistin und Ich-Erzählerin Dilan, Tochter von nach dem Militärputsch aus der Türkei geflohenen kurdischen Aleviten, die in Deutschland aufwuchs und inzwischen in Istanbul als Anwältin für Wirtschaftsrecht arbeitet. Ausgelöst durch die Beerdigung ihrer Mutter und einer rätselhaften Begegnung beschließt sie, den vielen Leerstellen in ihren Erinnerungen nachzuspüren und die sorgsam gehüteten, dunklen Geheimnisse ihrer Eltern aufzudecken. Trotz ihrer Schwangerschaft begibt sie sich spontan auf eine gefahrenvolle Reise in den Südosten der Türkei, um in der Bürgerkriegsregion und kurdischen Hochburg Diyarbakır an den Ufern des Tigris gelegen mehr Informationen über das Leben ihrer Eltern und ihre Vergangenheit in deren ehemaliger Heimat in den 1970er Jahren zu finden.
Gekonnt thematisiert die Autorin neben dem türkisch-kurdischen-Konflikt, den Krieg der Türkei gegen die kurdische Minderheit im eigenen Land und politischer Verfolgung, die fatalen Folgen unbewältigter Traumata und deren transgenerationaler Weitergabe. In sehr atmosphärischen und ergreifenden Episoden lässt uns die Autorin in das Leben der Protagonistin im Jahr 2016 eintauchen, die sich auf eine schmerzliche Reise in ihre eigenen verdrängten Erinnerungen begibt und den Ursachen für die allumfassende Sprachlosigkeit in ihrer Familie auf den Grund geht, um endlich für ihr ungeborenes Kind die unheilvolle Spirale zu durchbrechen.

Äußerst anschaulich und nuancenreich setzt die Autorin die vielen Widersprüchlichkeiten in Dilans Leben in Szene. Gebannt folgt man der eindringlichen Erzählstimme im Rückblick ins Jahr 1999 und hat Anteil an den bruchstückhaften, sehr schmerzvollen Erinnerungen an ihre Kindheit und Jugend in Norddeutschland. So erlebt man die familiären Gradwanderungen zwischen Sprachlosigkeit, Schweigen, Tabus und unausgesprochenen Erwartungshaltungen, die schließlich verinnerlicht und von ihr auch im späteren Leben übernommen werden. Äußerst fesselnd und emotional aufreibend ist es mitzuerleben, wie sich die verschiedenen Puzzlestückchen und Dilans vage Erinnerungsfetzen zu einem bedrückenden Gesamtbild zusammensetzen. Im letzten Teil gelingt es Dilan schließlich die schmerzliche Wahrheit aufzudecken, das so lange verschwiegene, beklemmende Familienschicksal zu enthüllen und endlich eine Art Frieden zu finden. Auch wenn nicht alles bis ins letzte Detail auserzählt wird und man einiges zwischen den Zeilen lesen muss, so findet der Roman dennoch einen sehr stimmigen Abschluss.

FAZIT
Ein sprachlich beeindruckendes Debüt mit einer tiefgründigen, berührenden Geschichte die Suche einer jungen Frau nach ihren familiären Wurzeln und ihrer Identität!