Rezension

Bewegende Familiengeschichte

Schicksalsjahre. Die Frauen vom Neumarkt -

Schicksalsjahre. Die Frauen vom Neumarkt
von Julie Heiland

Bewertet mit 5 Sternen

„...Die Liste der Verbote ist inzwischen ziemlich lang. Wir Juden dürfen nicht mehr in allen Berufen arbeiten, dürfen nicht mehr ins Theater, ins Kino oder ins Museum gehen oder dürfen uns nur auf gekennzeichnete Parkbänke setzen, die meist vermüllt sind...“

 

Der Prolog spielt in Dresden im Jahre 1939. Lotte, die nach dem Tod ihrer Eltern bei Onkel und Tante aufwächst, trifft sich heimlich mit Leo. Noch ahnt sie nicht, dass sie ihren Freund an diesem Tag das letzte Mal sehen wird.

Die Autorin hat einen spannenden und abwechslungsreichen historischen Roman geschrieben. Die Handlung wird in zwei Zeitsträngen erzählt. Lotte erlebt die Bombardierung Dresdens, bei der ihr Onkel umkommt. Dann setzt ihre Geschichte erneut 1947 ein, während im Jahre 1993 die ihrer Enkeln Hannah beginnt.

 

„...Die Welt besteht nicht aus Atomen, sie besteht aus Geschichten...“

 

Dieser Satz geht Hannah durch den Kopf, als sie vor den Trümmern der Frauenkirche steht. Ihre Aufgabe ist es, die Steine zu begutachten und zu fotografieren, denn beim Wiederaufbau soll jeder noch vorhandene Stein seinen ursprünglichen Platz zurück erhalten. Dann fällt ihr eine Fotografie in die Hand. Die junge Frau sieht aus wie ihre Mutter. Könnte es die Großmutter sein? Hannah hat sie nie kennengelernt, denn die Familienbande war zerrissen. Ihre Mutter schweigt darüber, warum.

Im Jahre 1947 hofft Lotte Tag für Tag, dass sie irgendeine Nachricht von Leo bekommt. Sie arbeitet zusammen mit anderen jungen Frauen als Trümmerfrau. Damit ernährt sie sich und ihre Tante, die den Tod ihres Mannes nie verkraftet hat.

Dann trifft Lotte eines Tages Jakob. Der wollte gerade seinem Leben ein Ende setzen. Sie nimmt ihn mit nach Hause. Jakob macht sich nützlich, doch er schweigt lange über seine Vergangenheit.

 

„...Sie verstand selbst nicht, warum, aber sie vertraute Jakob. Vielleicht war es der warme Blick seiner Augen, deren Farbe an Bernstein erinnerte, manchmal auch an Honig, je nachdem, wie das Licht hereinfiel...“

 

Die Autorin versteht es, die Zeit nach dem Krieg lebendig werden zu lassen. Alles liegt in Schutt und Asche, doch die jungen Frauen sehnen sich nach Abwechslung. Erste Tanzveranstaltungen sind gefragt. Währenddessen hat Jakob als Überlebender eines KZ andere Problem. Es sind nicht in erster Linie die sichtbaren Verletzungen oder die seelischen Schmerzen, sondern ihn bewegt die Frage, warum ausgerechnet er überlebt hat. Und dann gibt es noch Achim, der sich im neuen System eingerichtet hat und um Lotte wirbt. Die aber fühlt sich zu Jakob hingezogen.

Ihre Liebe jedoch steht unter keinem guten Stern. Jakob fühlt sich nicht mehr sicher. Eine kurze Verhaftung hat alte Wunden aufgerissen. Das Schicksal stellt die Weichen neu.

Das Buch steckt nicht nur voller historischer Fakten, sondern es enthält eine Menge an Überraschungen.

Es ist Hannah, die am Ende die Geschichte zusammenfügt.

Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Es bekommt eine unbedingte Leseempfehlung.