Rezension

Brillanter Pageturner für Leser mit starken Nerven

Die Zahlen der Toten
von Linda Castillo

Bewertet mit 5 Sternen

Dieser erstklassige Thriller der US-amerikanischen Schriftstellerin Linda Castillo ist das erste Buch ihrer Reihe um Chief of Police Kate Burkholder, eine unkonventionelle Polizeichefin mit amischen Wurzeln. Was mir an diesem Buch besonders gefällt, ist, dass es nicht nur ungemein fesselnd ist, sondern dass man als Leser auch sehr viel Informationen über die Lebensart der Amischen erhält, die uns recht befremdlich erscheint.

Zwei Welten

Die Geschichte spielt in Painton Mills, einer verschlafenen ländlichen Kleinstadt in Ohio, in der auch eine Amisch-Gemeinde beheimatet ist. Die Amischen sind eine streng protestantische Glaubensgemeinschaft, die primär von den Südwestdeutschen und Deutschschweizern abstammt (sie sprechen daher auch das sogenannte Pennsylvaniadeutsch). Sie leben sehr abgeschieden, zumeist von der Landwirtschaft, lehnen den technischen Fortschritt weitgehend ab, und ihr Zusammenleben ist stark in den traditionellen Rollen verankert (ihr habt sie bestimmt schon mal im Fernsehen gesehen, sie fahren noch mit Kutschen, die Männer tragen Hüte und lange Bärte und die Frauen eine schwarze Kappe). Kate Burkholder, die man zur ersten weiblichen Polizeichefin des Ortes gemacht hat, stammt aus einer amischen Familie, wurde aber von ihr verstoßen, weil sie sich mit 18 weigerte, der Glaubensgemeinschaft endgültig beizutreten bzw. ihr weiter anzugehören.  Mit ihrer Wahl zur Polizeichefin hofft man, eine Vermittlerin zwischen den zwei Welten - der ländlichen amerikanischen Bevölkerung und der amischen Gemeinde - gefunden zu haben.

Mord in Amish Country

Als man auf einem Feld des amischen Farmers Isaac Stutz die beängstigend zugerichtete Leiche eines jungen Mädchens findet, der man eine römische Ziffer in den Bauch geritzt hat, kann Kate Burkholder es nicht fassen: Der Mord trägt haargenau die Handschrift des Serienkillers, den die Presse Schlächter nannte und der vor 16 Jahren bereits vier junge Frauen in Painton Mills getötet hat. Als ein zweites Mädchen ermordet wird, das im Unterschied zum ersten Opfer zur amischen Gemeinde gehört, stellt man Burkholder Agent John Tomasetti vom BCI Bureau of Criminal Identification and Investigation zur Seite, da man ihr als Berufsanfängerin nicht zutraut, den Fall allein zu lösen. Burkholder ist außer sich, denn der nach dem Tod seiner Familie völlig ausgebrannte Tomasetti scheint nicht wirklich eine Hilfe zu sein.

Rückkehr des Schlächters?

Doch ihr ist schnell klar, dass Eitelkeiten hier fehl am Platz sind, denn die Zeit läuft ihnen davon, und der Killer scheint immer einen Schritt voraus zu sein. Nur Kate Burkholder allein weiß, dass es nicht der Schlächter war - doch dieses Wissen kann sie keinesfalls preisgeben, denn es würde ein Geheimnis offenbaren, das ihr Leben und das ihrer Familie zerstört. Doch Tomasetti ahnt, dass sie etwas verbirgt und lässt nicht locker. Und so muss Burkholder alles auf eine Karte setzen, um sich und ihre Familie zu schützen und endlich den wahren Killer zu fassen...

Kate Burkholder und John Tomasetti: Traumatisierte Ermittler

Mit Kate Burkholder und John Tomasetti hat Linda Castillo zwei vielschichtige Charaktere geschaffen, die keine Superhelden sind, sondern beide mit schweren Traumata zu kämpfen haben, die im Laufe der Geschichte offenbart werden. Während Burkholder das Geschehene verdrängt und von Alpträumen geplagt wird, befindet sich Tomasetti in einer Abwärtsspirale aus Alkohol und Tabletten. Doch die Mordserie bringt ihren Lebensalltag aus den Fugen und zwingt sie, trotz aller Differenzen und Hindernisse weiterzumachen. All dies wird ohne Pathos und Rührseligkeit erzählt und macht den Roman so gelungen.

Pageturner für Leser mit starken Nerven

Es ist ein absolut gelungener Debutroman, ein echter Pageturner, den man nicht mehr aus der Hand legen kann, denn Linda Castillo ist eine exzellente Erzählerin, die den Spannungsbogen meisterhaft aufbaut. Der Leser wird immer tiefer in das Geschehen hineingezogen und muss bis zum furiosen Finale starke Nerven haben. Ich habe die komplette Serie gelesen und finde sie hervorragend. Die Romane ähneln sich in keiner Weise und sind alle unglaublich spannend. Ihr solltet sie allerdings in der richtigen Reihenfolge lesen, denn sie bauen gerade im Hinblick auf die Geschichte der Hauptfiguren aufeinander auf.