Rezension

Das Kastanienmädchen aus den Bergen

Die Tochter der Toskana - Karin Seemayer

Die Tochter der Toskana
von Karin Seemayer

Das Kastanienmädchen aus den Bergen

„Ich werde das alles nie wiedersehen. Ich werde niemals mehr die Nebel am Monte Ventasso aufsteigen sehen, von denen die Alten sagen, dass in ihnen die Feen tanzten.“

Antonella Battistoni stammt aus dem kleinen Dorf Cerreto in den Apuanischen Alpen. Die hübsche Schäferstochter soll in Kürze Paolo, den wohlhabenden Sohn des örtlichen Müllers heiraten. Als dieser jedoch seinen wahren Charakter offenbart, bleibt dem Mädchen angesichts der Unnachgiebigkeit ihres Vaters nur noch der Weg in die Flucht. An der Seite eines gutaussehenden Fremden, den sie im Wald getroffen hat, macht sie sich auf den Weg nach Genua, um ihre Tante Einede aufzusuchen und eine Anstellung zu finden. Auf dem langen und beschwerlichen Weg in die Freiheit, der von Aufregung und Abenteuern geprägt ist, behandelt Marco Michele di Raimandi sie stets wie ein Gentleman. Er ist höflich, zuvorkommend, und möchte seine Begleiterin wohlbehalten zu ihrer Tante nach Genua bringen. Dass die beiden jungen Menschen sich ineinander verlieben, war weder vorhersehbar, noch passt es in deren Lebenspläne. Marcos Vergangenheit stellt zudem ein unüberwindliches Hindernis für ihre Liebe dar, und nach der Enthüllung seiner wahren Identität scheint eine gemeinsame Zukunft ausgeschlossen…

Karin Seemayer beschreibt in eindrucksvollen Worten und sehr einnehmendem Schreibstil das Leben des Bauernmädchens Antonella in dem kleinen Dorf in den Bergen. Die Situation der Menschen, ihr Lebensalltag, ihre Hoffnungen, Wünsche und Träume werden ausgezeichnet vermittelt. Die Autorin erzählt vom Streben ihrer jungen Protagonistin nach Bildung, dem großen Wunsch, lesen und schreiben zu lernen. Antonella darf auch ihre Leidenschaft für das Kochen nicht ausleben. Sowohl die Berufswahl, als auch die Wahl des zukünftigen Ehemannes werden durch den Vater getroffen. Die Charakterisierung der handelnden Figuren war ausgezeichnet – man konnte sich in die Personen hineinversetzen, deren Überlegungen und Handlungen wirkten höchst authentisch. Durch den männlichen Protagonisten Marco wurde dem Leser ein Einblick in die Welt des Adels gewährt. Karin Seemayer schildert das Leben in der sogenannten besseren Gesellschaft und erwähnt auch die Verpflichtungen und Zwänge, denen die Söhne und Töchter aus gutem Hause unterworfen waren. Ebenso wie Antonella hatte auch Marco sich sein Leben anders vorgestellt, und auch ihm wurden Unverständnis und Unnachgiebigkeit entgegengebracht. Auf dem langen Weg nach Genua kreuzten interessante und liebenswerte Nebendarsteller den Weg der beiden Flüchtenden. Karin Seemayer widmete sich jeder Person mit großer Aufmerksamkeit und bereicherte die Geschichte durch lebendig wirkende und sehr überzeugende Figuren.

Die historischen Fakten waren vortrefflich recherchiert und mit der Handlung verwoben. Die Autorin skizziert die politische Situation und gibt einen kleinen Einblick in die Carbonari als bedeutendste der Geheimbünde in den italienischen Staaten des 19. Jahrhunderts. Sie thematisiert auch die von Guiseppe Mazzini gegründete Vereinigung namens „Giovine Italia“ und den Kampf für ein freies Italien, für Gerechtigkeit, ein leichteres Leben für die Bauern, niedrige Steuern und Handel. Die gesamte Geschichte beinhaltet nicht zuletzt dadurch einen konstanten Spannungsbogen, der am Ende des Buches schließlich in ein atemberaubendes Finale mündet. Antonella und Marco müssen viel Mut und Einfallsreichtum aufwenden, um alle Hindernisse zu überwinden.

Da mir nicht nur die beiden Protagonisten, sondern auch die meisten Nebenfiguren ans Herz gewachsen sind, würde ich mich über ein Wiedersehen im nächsten Band unglaublich freuen. Zu gerne möchte ich erfahren, wie es den Mitgliedern der Familien Battistoni und di Raimandi nach dem Verschwinden ihrer Kinder ergangen ist und ein wenig mehr über Antonellas bester Freundin Francesca, den hünenhaften Seemann Guiseppe Garibaldi oder Marcos besten Freundes Fabrizzio Barrati lesen. Es wäre auch interessant zu erfahren, was mit Einede Morelli geschehen ist, jener Tante, die bereits im Alter von sechzehn Jahren ihr Dorf verlassen hat, um als Köchin in Genua zu arbeiten. Und ich würde in Karin Seemayers nächstem Buch auch gerne wieder die kleine Hütte des Köhlers Nunzio und seiner liebenswerten Frau Valeria in Ghiare sowie die mütterliche und liebenswerte Aminta besuchen.

Fazit: „Die Tochter der Toskana“ ist ein beeindruckender und atmosphärischer Roman, der mir nicht zuletzt durch den wunderschönen Schreibstil der Autorin und deren authentisch gezeichneter Figuren großes Lesevergnügen bereitet hat. Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen und ich empfehle es nur allzu gerne weiter.