Rezension

DAS macht wütend

Zona Rossa - Sara More

Zona Rossa
von Sara More

Bewertet mit 5 Sternen

„...Wir werden kämpfen – für dich, unsere Heimat und unsere Zukunft...“

 

Wir schreiben das Jahr 2009. Die 36jährige Viola hat bei dem Erdbeben in L`Aquila ihren Mann und ihre Tochter verloren. Nun bangt sie um das Leben ihres 11jähigen Sohnes Manuele, der im Koma liegt. Dann erhält sie einen Anruf von Tommaso, eine ehemaligen Kollegen ihres Mannes. Er bittet sie, über alles, was Riccardo ihr erzählt hat, zu schweigen. Doch Viola kann mit dem Anruf nichts anfangen. Riccardo hat nie über seine Arbeit gesprochen.

Die Journalist Karina untersucht den Einfluss der Mafia in L`Aquila. Zum einen hat sie Viola um Hilfe gebeten, zum anderen möchte sie wissen, worin Luca verstrickt ist.

Die Autorin hat einen fesselnden Fact-Fiction-Roman geschrieben. Das bedeutet, dass in eine fiktive Geschichte reale Fakten einbezogen wurden. Diese Fakten sind kursiv gedruckt. Es ist die Fortsetzung eines Buches zum Erdbeben in L`Aquila.

Das Geschehen hat mich schnell in seinen Bann gezogen. Allerdings lässt sich die Geschichte nicht ganz einfach lesen, weil viele Dinge, die dort wiedergegeben werden, mich als Leser erst fassungslos und dann wütend gemacht haben. Die Katastrophe war kein Schicksalsschlag. Sie war die Folge menschenverachtender Machenschaften.

Eingebettet in die Erzählung um Viola und Karina sind weitere Schicksale aus dem Ort.

Der Schriftstil ist ausgereift. Die Autorin versteht es, die Erlebnisse und Emotionen der Betroffenen in passende Worte zu fassen.

Obiges Zitat stammt von Viola. Es fällt am Krankenbett ihres Sohnes. Deutlich wird im Laufe der Handlung Violas innerer Zwiespalt. Einerseits möchte sich nicht vom Bett ihres Sohnes weichen, andererseits will sie wissen, hinter welche Machenschaften ihr Mann Riccardo gekommen war. Dabei begibt sich sich und die Ihren allerdings erneut in Lebensgefahr.

Auch Karina geht bei ihren Recherchen nicht immer legale Wege. Zweimal entgeht sie haarscharf der Katastrophe.

Bedrückend sind die Szenen im Zeltlager. Den Bewohnern wird alles zugeteilt, mehr schlecht als recht. Kaffee und Schokolade sind verboten, und das in Italien, wo der Espresso zum Grundnahrungsmittel gehört! Ein Zitat aus einem Zeitungsartikel gibt die Stimmung perfekt wieder:

„...Wer im Zeltlager auf einen Teller Suppe wartet, zettelt dort keinen Aufstand an...“

Der Aufbau der Stadt wird von Monat zu Monat verschoben. Als die Bewohner selbst Hand anlegen wollen, wird ihnen klar gemacht, dass dies strafbar ist.

Dafür dürfen die Damen und Herren zum G8-Gipfel ihr Mitgefühl per Scheckbuch ausdrücken. Dass die Kosten des Gipfels besser für den Wiederaufbau genutzt worden wären, scheint keiner der Politiker zu begreifen.

Korrupte Bauunternehmer, die Hand in Hand mit der Mafia arbeiten, hoffen auf das große Geschäft. Für sie war das Erdbeben wie eine warme Gelddusche. Polizei und Staatsanwalt haben es schwer, illegalen Geldströmen und Baubewilligungen unter der Hand zu folgen.

Das Buch ist deshalb so überzeugend, weil all diese Dinge mit konkreten Fakten anhand von Zeitungsausschnitten belegt werden.

Im Schnellverfahren entstehen für einen Teil der Betroffenen Wohnhäuser auf der grünen Wiese – ohne funktionierende Heizung und mit löchrigen Dächern.

Es gibt viele berührende Stellen im Buch. Eine davon ist, als Manuele aus dem Koma erwacht und nach Vater und Schwester fragt. Wie sagt man eine Kind, dessen Genesung noch in der Schwebe ist, dass er die Angehörigen nie wiedersehen wird?

Bewegend ist ebenfalls der Brief des Journalisten Giustino Parisse an seine Kinder, die er bei dem Erdbeben verloren hat. Er schreibt jedes Jahr einen solchen Brief .Dieser beendet das Buch.

Danach folgen die Namen der Opfer und ausführliche Quellenverzeichnisse.

Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Es endet mit einem Gerichtsprozess gegen die Risikokommission. Es zeigt das Versagen eines Staates und eigentlich auch der europäischen Union. Zum Schluss dar Parisse nochmals zu Wort kommen. Er sagt nach dem Gerichtsprozess:

„...Ich will keinen Euro Schadenersatz...Das Einzige, was ich möchte, ist meine Kinder wieder umarmen zu können. Und das habe ich getan, erst letzte Woche. Allerdings war es wieder nur ein Traum, dann bin ich aufgewacht...“