Rezension

Der talentierte Schreiber Alwyn

Der Paria -

Der Paria
von Anthony Ryan

Auf den neuen Fantasy-Roman von Anthony Ryan habe ich voll Spannung gewartet. Spannend ist nämlich bei diesem Autor immer die Frage, ob sein Roman gelingt oder eben nicht. „Der Paria“ gehört zu den gelungenen Romanen.

Erzähler und Hauptfigur ist Alwyn, ein beim „König der Räuber“ im Wald aufgewachsener Gesetzloser, dessen Leben einem wechselvollen Schicksal unterworfen ist: Er lernt sich zu verteidigen, zu töten, zu lügen, Menschen zu erkennen, lesen und schreiben, reiten, mit dem Schwert kämpfen und er lernt den Glauben kennen. Ryans Roman spielt in einer Welt mit wenig Fantasyelementen. Räuberbanden und Thronstreitigkeiten gemahnen blutig an das finstere Mittelalter, und nur die häufig im Text auftretenden Vorausdeutungen Alwyns lassen auf das Anwachsen der mystischen Elemente der Welt hoffen. Diese Vorausdeutungen haben mir gefallen, weil sie die aktuelle Handlung in einen größeren Kontext gesetzt haben und spätere Entwicklungen Alwyns frühzeitig motiviert haben – etwa dass er zu Alwyn Scribe, dem Schreiber, wird. Das steht in wohltuendem Kontrast zu den (leider nicht seltenen) Momenten in diesem Roman, in dem Kollege Zufall um die Ecke kommt, um die Handlung voranzubringen. Der „deus ex machina“ geht nämlich zulasten der Glaubwürdigkeit der Geschichte. Zwar ist z.B. die Figur der Sackhexe untrennbar mit dem Erstarken der Mystik im Roman verbunden, aber dennoch ist deren Auftreten – und das anderer Figuren – arg überraschend.

Die Sogwirkung des Romans beginnt erst nach einer etwas langatmigen Schotterstrecke von etwa 100 Seiten. Es hat etwas mit dem Erklärmodus zu tun, in den Ryan fällt, wenn er seine Welt vorstellt. Für mich kam erschwerend hinzu, dass ich „böse“ Hauptfiguren, also Gesetzlose, als langweilig empfinde. Sie sind per se nicht an Regeln gebunden, so dass der Regelbruch nichts Abenteuerliches mehr hat – abgesehen davon, dass Protagonisten nur zur Identifikation reizen, wenn sie sich etwas Größerem verschrieben haben und nicht dem Abgrund. Deshalb ist es meines Erachtens kein Zufall, dass Tempo und Lesefreude genau in dem Moment beginnen, als Alwyn dem Wald entkommt und in die Welt der Regeln eintritt (die er dann brechen kann, wenn es schlechte Regeln sind; die von Kerkerbergwerken zum Beispiel). Ryan hat bei der Figurenzeichnung Alwyns auch darauf geachtet, dessen Wesenskern nicht als verkommen zu gestalten. Oder mit den Worten seines Räubermentors gesprochen: „Alle geborenen Mörder sind Gesetzlose, aber nicht jeder Gesetzlose ist ein geborener Mörder.“ (S. 610) Die Hauptfigur des Romans scheint – obschon sie selbst niemals die zweite Reihe verlässt – innerhalb des sich aufbauenden Schicksalskosmos eine zentrale Rolle zu haben: "Jedes Leben hat einen Sinn, aber bei manchen geht es tiefer." (S. 648). Diese Rolle enthüllt sich sowohl Alwyn selbst auch bei der Lektüre nur langsam. Das ist sehr gut gemacht und erzeugt die Vorfreude auf das jeweils nächste Kapitel – und marktwirksam auch auf den nächsten Band.

Demgegenüber verblassen die Nebenfiguren leider stark, selbst wenn sie noch farbenfrisch eingeführt worden sind. Die freche Toria etwa verliert stark und wird zum Anhängsel, andere Figuren bleiben in der Kulisse stehen oder werden effektvoll „verbraucht“. Die einzige andere Figur, deren Strahlkraft zunimmt, ist Feldherrin Evadine Courlain, die im Namen der Kirche – hier „Bund“ genannt – ein auf sie eingeschworenes Heer aufbaut. Mit Evadine als lebender Märtyrerin einer auf Märtyrern aufgebauten Religionswelt betritt Ryan ein Feld, das ihm eigentlich fremd ist. Denn Ryan vertritt in allen seinen Romanen stets einen abgeklärt atheistischen Standpunkt gegenüber einem als heuchlerisch und bigott auftretenden Klerus (etwa in der „Rabenschatten“-Trilogie). Hier aber verkündet eine heiligmäßige Feldherrin echte Visionen einer drohenden Apokalypse, die von einem Chronisten begleitet wird, der aus einem Außenseiterdasein kommend („Der Paria“) selbst beteuert, den wahren, tiefen Glauben gefunden zu haben.

Man darf gespannt sein, wie die wachsende politische und militärische Bedeutung der mystischen Feldherrin im nächsten Band („The Martyr“) in hangreiflichen Clinch mit dem „Bund“ und den feudalen Mächten des Königreichs geraten wird. Blutig wird es werden, wo „Anthony Ryan“ drauf steht.