Rezension

Die Geschichte eines Absturzes

Die Optimierer - Theresa Hannig

Die Optimierer
von Theresa Hannig

„Jeder an seinem Platz, Samson!“ – So oder so ähnlich wird Samson Freitag regelmäßig von seinen Mitmenschen in der unabhängigen Bundesrepublik Europa begrüßt. Wir treffen Samson im Jahre 2052 auf dem Weg zu einem Arbeitseinsatz, der sein Leben ganz entschieden verändern wird: In seiner Funktion als Lebensberater besucht er eine junge Frau, um mit ihr ihre optimalen Einsatzbedingungen in der Gesellschaft auszuloten und sie einem geeigneten Beruf zuzuteilen. Als er die junge, aus seiner Sicht völlig perspektiv- und für die Optimalwohlökonomie seiner Zeit auch völlig wertlose Martina in die zwangsweise, lebenslange Arbeitslosigkeit (Kontemplation) schickt, bricht für sie eine Welt zusammen. Daraufhin erleben wir den Absturz eines zuvor gut in das System integrierten, euphorischen Lebensberaters, der sich in seiner Welt aus Zwangsvegetarismus, Komplett-Überwachung durch elektromische Kontaktlinsen und überzeugend menschenähnlichen Robotern kaum mehr zurechtzufinden vermag.

Samsons Geschichte ist die Geschichte eines Absturzes, einer „Verwandlung“ – ähnlich jener, die Kafka seinen Gregor Samsa durchleben ließ. Es ist aber auch die Geschichte einer Gesellschaft, die von unserer nur scheinbar weit entfernt ist. In einer Zeit der unsere körperlichen Vitalfunktionen überwachenden Smart-Watches, der großen Datenkraken wie Facebook und Google und in einer Zeit, in der man sich mit der künstlichen Intelligenz seines Smartphones alias Siri über komplexe Sachverhalte austauschen kann, erscheint Theresa Hannigs Vision von der Welt im Jahre 2052 gar nicht mal so fernliegend.

Die Autorin springt mit ihrem Buch auf einen Zug auf, der schon seit einigen Jahren sehr erfolgreich ist und die Leserinnen und Leser am Puls der Zeit berührt. Jedoch ist diese Dystopie, sofern man sie denn so klassifizieren mag, anders als jene, in denen ein verzweifeltes, junges Mädchen gegen ein absolut überzogen grausames und realitätsfernes System der Unterdrückung kämpft. In die „Optimierer“ ist stattdessen eine stärkere Anlehnung an George Orwells Original „1984“ zu erkennen und ich sehe Parallelen zu dem erst kürzlich verfilmtem Roman „The Circle“. Dadurch erlangt Samsons Geschichte eine Authentizität und eine Glaubwürdigkeit, die einzigartig und beeindruckend ist und die mich als Leserin erschrocken und nachdenklich zurücklässt.

Theresa Hannig hat mit „Die Optimierer“ ein wertvolles Buch geschrieben, das uns allen zu denken geben sollte und sich meiner Meinung nach auch hervorragend für eine Schullektüre eignet. Der Diskussionsstoff, der aus kontroversen Fragen um Zwangsvegetarismus, autonomes Fahren, verpflichtende Lebensberatung und verpflichtendes Sterben mit 85 hervorgeht, prädestiniert dieses Buch für hitzige Auseinandersetzungen.