Rezension

Die Momentaufnahme einer zerrütteten Familie

Was das Meer ihnen vorschlug - Tomás González

Was das Meer ihnen vorschlug
von Tomás González

"Die Welle gelangt immer an den Ort, zu dem sie unterwegs ist, und beginnt immer dort, wo sie entstanden ist." (Zitat S. 68)

Ihr ganzes Leben schon, sind die beiden Brüder Javier und Mario den Launen ihres herrischen Vaters ausgesetzt. Tagtäglich ertragen sie Demütigung und Erniedrigung. Die Mutter kann ihnen dabei nicht beistehen, so ist sie selbst von einer schweren psychischen Krankheit gezeichnet, an dessen Ausbruch das Verhalten ihres selbstsüchtigen Mannes, nicht ganz unschuldig ist. Bei einem Angelausflug geraten die Brüder mit ihrem Vater in einen Sturm. Die Situation an Bord droht, unter den Familienmitgliedern, zu eskalieren. Nicht nur am Himmel braut sich ein unheilvolles Unwetter zusammen, auch die ganzen unterdrückten Gefühle und unausgefochtenen Konflikte kochen hoch. Wie werden sich die beiden Brüder entscheiden? 

"Keiner sprach vom Tod, und doch saß er mitten unter ihnen, auf einer der Bänke, mit seinem Umhang, seiner Kapuze und seiner Sense." (Zitat S. 66)

 In der abgerundeten, ausgeglichenen Form dieser auf engem Raum und kurzer Zeit entwickelten Komposition empfiehlt sich der Autor Tomas Gonzalez als großer Erzähler.
Die Kulisse ist kraftvoll und lebendig beschrieben und die Atmosphäre besticht mit einer unglaublichen Dichte.
Die Figuren sind sensibel und mit viel Fingerspitzengefühl herausgearbeitet. Die Persönlichkeit jedes einzelnen kommt trotz der knappen Zeitspanne beim Leser an und es ergibt sich ein klares Bild und dennoch hält der Autor noch einiges im Verborgenen, was die jeweiligen Charaktere unvorhersehbar erscheinen lässt.
Zudem wird dem Leser noch eine äußere Perspektive geboten. Viele Nebenfiguren kommen dabei zu Wort und schildern die Dinge aus ihrer Sicht. Vor allem das Verhalten der Mutter wird nochmal in ein anderes Licht gerückt und auch die beiden Brüder sieht man dabei mit anderen Augen. 
Dieser Roman ist sprachlich herausragend und konsequent in Szene gesetzt, allerdings fehlte mir persönlich ein Höhepunkt. Das Ende ließ mich etwas unbefriedigt zurück.

Trotzdem gibt es für dieses Werk 4 Sterne und eine Leseempfehlung von mir. Allein der virtuose Erzählstil des Autors ist es wert, dieses Buch zu lesen.