Rezension

Ein Drama mit unbefriedigendem Ausgang

Was das Meer ihnen vorschlug - Tomás González

Was das Meer ihnen vorschlug
von Tomás González

Bewertet mit 3.5 Sternen

Zwischen Verachtung, Groll und Fügsamkeit

Die beiden Brüder Javier und Mario sind nicht nur Zwillinge sondern auch zwei sehr verschiedene Menschen, der eine sensibel, belesen und phlegmatisch, der andere depressiv, gewalttätig und aktiv. Ihre größte Bürde ist das gemeinsame Leben und die räumliche Nähe zu ihrem Vater, mit dem sie eine Hotelanlage führen. Ihr Vater ist Sinnbild für einen eigenbrötlerischen, pessimistischen Menschen, der für seine Söhne nichts als Verachtung empfindet. Als die drei auf hoher See in ein Unwetter geraten, ergibt sich die Möglichkeit, den gehassten Vater auf ewig loszuwerden, denn ohne Zeugen wäre ein Verbrechen nur ein Unfall ...

Dieser kleine, feine Roman lebt und atmet regelrecht durch seine ansprechende Sprache. Literatur auf hohem Niveau, ein wunderschöner Satzbau und viele künstlerische Feinheiten, machen das Lesen zum reinsten Vergnügen. Egal ob es sich dabei um Natur- oder Personenbeschreibungen handelt, alles wirkt intensiv, schillernd und besonders.
Auch die Handlung an sich birgt ein hohes Unterhaltungspotential, beschäftigt sie sich doch mit der Frage der Schuld, der Verkettung unglücklicher Umstände und der Möglichkeit aus Menschlichkeit zu handeln oder es zu unterlassen. Ein sehr vielschichtiger Plot, der die Unvermeidlichkeit auf eine harte Probe stellt und die Frage aufwirft, an welcher Stelle der Mensch das Schicksal aktiv beeinflussen kann.

Mein Hauptkritikpunkt liegt an der Entwicklung des Romans, während im ersten Drittel kontinuierlich eine düstere, endgültige Stimmung erzeugt wird, flacht die Spannung viel zu plötzlich und umfassend ab. Der Leser befindet sich auf der Spitze einer Welle und dann bricht sämtliche Erwartungshaltung in sich zusammen und eine seltsame Leere und Unzufriedenheit bleibt zurück. Beim Leser ganz genauso wie bei den handelnden Personen. Das Ende ist definitiv Geschmacksache, weil es polarisiert und mich nicht wirklich begeistern konnte.

Fazit: Ich vergebe 3,5 Sterne für ein polarisierendes, unterhaltsames literarisches Werk, über das man ausgesprochen gut debattieren kann, weil es viele Empfindungen hervorruft, ohne sie zu werten. Dramatik, Stimmung und Sprache bekommen von mir die volle Punktzahl, schon allein weil sich dieser Roman sehr positiv von der Masse abhebt und eine simple Notsituation zur Prüfung menschlicher Entscheidungen stilisiert.