Rezension

Die Verwandlung durch Kälte und Wasser

Schiffsmeldungen - Annie Proulx

Schiffsmeldungen
von Annie Proulx

Bewertet mit 4.5 Sternen

„Schiffsmeldungen“ fürs Lokalblatt soll Quoyle jetzt schreiben. Quoyle, der ewige Versager und Pechvogel, den es aus dem Staat New York auf die Felseninsel Neufundland im Osten Kanadas verschlagen hat. Quoyle, der immer schon panische Angst vor dem Wasser hatte. Und doch findet er hier in dieser kargen Landschaft, wo seine Vorfahren siedelten, so etwas wie Glück und für sich und seine beiden Töchter so etwas wie ein Zuhause.

Das Buch erzählt in ungewöhnlicher Weise die Entwicklung Quoyles: Vom armen Würstchen, betrogen, ausgenutzt und ohne Selbstbewusstsein, zum Mann, der sich in seinem Leben wohl, von seiner Umgebung geschätzt und geachtet fühlt. 
Man lernt ihn als Memme kennen, dem man allenfalls Mitleid entgegenbringt. Dass er mit der Tante nach Neufundland übersiedelt, ist weniger eine Entscheidung für ein neues Leben als vielmehr ein gleichgültiges Geschehen-lassen. Denn schlimmer kanns nicht werden.
Treibende Kraft ist die Tante, Quoyle lässt sich ziehen. Doch schon mit der ersten Aufgabe, aus der Ruine ein bewohnbares Haus für sich, Tante und Töchter zu machen, wächst Quoyle. Obendrein verhalten sich Nachbarn und Kollegen ihm gegenüber nicht wie einem Fremden, sondern nehmen ihn auf, ebnen den Weg, stehen mit Rat und Tat zu Seite. Auch wenn er im persönlichen Kontakt mit anderen immer noch zurückhaltend reagiert, in Halbsätzen stottert oder schweigt, lesen sich seine Artikel spannend und lebendig. Er meistert das Leben eines alleinerziehenden Vaters, und auch als das Haus im Winter unbewohnbar wird, findet er eine Lösung. Würde er nicht noch mit all seiner Liebe an seiner verstorbenen Frau hängen, hätte er vielleicht sogar den Mut, sich der ebenfalls alleinerziehenden Wavey zu nähern.

Nein, mit einer großen fesselnden Handlung dient das Buch nicht. Und man liest – zumindest anfangs – stolpernd, sprunghaft, man kämpft mit der eigentümlichen Sprache der Autorin: Halbe Sätze, Sätze ohne Verb, ohne Subjekt, einzelne Worte, Nebensätze ohne Hauptsatz. Aber irgendwann passen sie zusammen, die Sprache mit dem Geschehen, das sie schildert. Denn das, was passiert, ist nichts anderes als eine knappe, schnelle Abfolge kleiner Szenen und Vorfälle, die sich zu einem Gesamtbild fügen. 
Auch die Personen entsprechen diesem Bild. Sie wirken allesamt wie mit geringen Variationen aus demselben Stamm geschnitzt, hart arbeitende Menschen, bestimmt von der Unwirtlichkeit ihrer Umgebung und dem Meer, das gleichzeitig Leben spendet und Leben nimmt. 
Erstaunlich ist der Reichtum der Bilder und die immer wieder neuen und anderen bildlichen Vergleiche, die die Autorin für das Eis, das Meer, den Wind, den Schnee und die Wellen findet. 

Warum die Knoten, die Zeichnungen und Beschreibungen, wozu man den jeweiligen Knoten braucht? Es dauert eine Zeitlang, bis man die Verbindung zur Handlung findet, aber dann beginnt man sie in jedem Kapitel aufs Neue zu suchen. Knoten – das ist Schifffahrt, das ist eine Verknüpfung zweier Gegenstände, die nicht von selbst aneinander halten. 
Oder: Ein Knoten platzt, meistens im Kopf. Sollte man das Bild auf Quoyle deuten? Oder interpretiert man damit zuviel? Auf alle Fälle sagt die Autorin in der Danksagung, dass das „Ashley-Buch der Knoten“ entscheidend für ihr Schreiben war.

Ein empfehlenswertes Buch für geduldige Leser, die auch eine Passage der Langsamkeit aushalten, und denen es nicht schwer fällt, auch leere Passagen zu füllen.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 20. Mai 2016 um 11:51

Eine wunderschöne Rezension zu einem relativ schwierigen Roman!

Violetta kommentierte am 27. Mai 2016 um 19:54

Danke

Arbutus kommentierte am 27. März 2017 um 14:49

Das ist wirklich ein ganz toller Roman. Aber die Rezension ist auch wirklich ausgesprochen gelungen!

Violetta kommentierte am 30. März 2017 um 14:23

Danke