Rezension

Ein Leben für die Kinder

Wie ein Stern in mondloser Nacht -

Wie ein Stern in mondloser Nacht
von Marie Sand

Bewertet mit 5 Sternen

Zwei Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges lebt die junge Henriette Bartholdy, genannt Henni, im zerbombten Berlin mit ihrer Mutter und ihrem kranken Bruder in bitterer Armut. Als sie ihre Mutter auf deren Putzstelle im Haus der reichen von Rothenburgs vertritt, lernt sie den Sohn des Hauses, Ed, kennen. Die beiden verlieben sich ineinander, doch das Ganze geht nicht gut aus, denn Eds Eltern haben für ihren Sohn einen anderen Lebensweg vorgesehen. Als Henni schwanger wird, bestechen die von Rothenburgs Hennis Mutter und gemeinsam zwingen sie Henni zu einem folgenschweren Schritt.

Immer nach vorn, nie zurück: Das ist das Motto von Henni. Eine wundervolle Protagonistin hat die Autorin da erschaffen, eine, die das Leben trotz aller Widerstände liebt, die trotz aller Schicksalsschläge immer nach vorn schaut und ihren Prinzipien treu bleibt. Henni reift im Laufe des Buches, wird vom gebeutelten, von allen verlassenen Kriegskind zu einer Kämpferin ihrer Sache, eine, die erst für sich und dann für ihre Überzeugungen einsteht. Die Entscheidung, Hebamme zu werden, entsteht, nachdem sie ihren fruchtbarsten Moment erlebt und überstanden hat, und Henni verfolgt ihre Ziele mit aller gebotenen Hartnäckigkeit.

Dies ist ein wundervoller Roman über eine starke Frau in schwierigen Zeiten, die ihren Weg geht und dafür einiges in Kauf nimmt. Der Aufbau des Buches, der Stil, die Schreibe und die Figuren sind allesamt stimmig und sehr gut herausgearbeitet, es liest sich unheimlich flüssig, man ist sofort in der Geschichte drin und kann nicht mehr aufhören. Perspektivisch wechselt die Geschichte zwischen Henni in der Nachkriegszeit und Liv im Jahr 2000. Während Livs Erzählung sich über einen kurzen Zeitraum erstreckt, wird Hennis Leben fast komplett erzählt.

Die Wechsel zwischen den beiden Zeitebenen erhöhen die Spannung, auch wenn man irgendwann ahnt, wie beides zusammenhängt. Beide Frauen machen eine Entwicklung durch, sind tief emotional verbunden mit ihrer Vergangenheit und emanzipieren sich doch von ihr, streifen ab, was sie schwächt, und sehen schlussendlich nach vorn in eine hoffnungsvolle Zukunft.

Alle Charaktere haben sehr eigenständige, vielschichtige und gut dargestellte Persönlichkeiten, wenn auch Henni für mich der stärkste Charakter ist. Liv blieb mir in manchem fremd und zu Ed hatte ich ein sehr gespaltenes Verhältnis. Seine Liebe zu Henni ist wohl echt, jedoch egoistisch und feige, das legt er auch in späteren Jahren nicht ab. Er steht nicht zu Henni und lässt sich von seinen Eltern leiten. Seine Eifersucht und sein Selbstmitleid machten ihn nicht sympathischer, auch wenn er mit seinen Mitteln vieles für Geburtenkontrolle und Aufklärung tut.

Gut fand ich, wie die Schere zwischen arm und reicht sichtbar gemacht wurde und was Armut mit Menschen machen kann, wie sie sie zum Beispiel korrumpiert, hier in der Figur von Hennis Mutter dargestellt. Diese ist durch den Krieg und den Tod ihres Mannes bitterarm geworden und der kranke Sohn zehrt ebenfalls an ihr. Der Kampf ums Überleben hat sie hart gemacht und blind gegenüber den Bedürfnissen ihrer Tochter, die sie als Arbeitskraft und Geldquelle ausnutzt. In ihrer schwersten Stunde wird Henni nicht nur von Ed, sondern auch von ihrer Mutter verlassen. Umso bemerkenswerter, dass Henni sich selbst aus diesem Tal der Tränen herauszieht, ihr Leben in die Hand nimmt und die Kraft findet, anderen zu helfen.

Fazit: Wunderschöner, zu Herzen gehender Roman über eine starke, sensible und loyale Frau. Mit Henni habe ich sehr mitgelitten und mitgelebt und ich fand es interessant, einiges über Findelkinder und die Motive der Mütter zu erfahren. Auch heute noch sind Babyklappen umstritten und das Nichtanzeigen eines Neugeborenen strafbar. Ein Buch, das ein schwieriges Thema sensibel und einfühlsam aufgreift und die Motive nachvollziehbar macht.