Rezension

Eine Familiengeschichte aus Italien

Die langen Tage von Castellamare
von Catherine Banner

Bewertet mit 4.5 Sternen

Es sind die alten Geschichten, über Generationen weitererzählt, die italienischen Volksmärchen mit ihrem magischen Ton, die den Arzt Amedeo Esposito faszinieren, die er in einer dicken Kladde sein ganzes Leben lang sammelt, die auch noch seine Nachkommen lange Zeit begleiten und die Catherine Banners Roman strukturieren. 
Es sind schicksalhafte Erzählungen von der Inselheiligen Agata, von den geheimnisvollen Höhlen am Meer, voll mit alten Knochen und Gebeinen, von Königstöchtern und mutigen Fischern, den Fischern der Insel Castellamare irgendwo im weiten Meer vor Sizilien.
So entwickelt auch die Autorin eine im besten Sinne altmodische Familiengeschichte: in epischer Breite, mit einem allwissenden Erzähler, der all die Personen, die zwischen 1914 und 2009 auf der Insel leben, sterben, geboren werden, lieben, hoffen und verzweifeln in einem großen, wunderbar zu lesenden Epos vereinigt.
Da ist jener Amedeo Eposito, der als junger Mann als Gemeindearzt auf die Insel kommt, nach anfänglicher Skepsis von den Menschen akzeptiert und aufgenommen wird, heiratet, Vater wird, wegen eines Seitensprungs seine Stelle verliert, eine Bar aufmacht, zwei seiner Söhne im Krieg verliert.
Da ist seine Tochter Maria-Grazia, die einen im Krieg verwundeten britischen Offizier liebt, die Bar ihres Vaters erfolgreich weiterführt.
Und da sind ihre Söhne Sergio und Giuseppino, Kontrahenten von Anfang an.
Mit der Enkelin Maddalena erreicht die Geschichte schließlich das Jahr 2009.
„Die langen Tage von Castellamare“ (wieder so ein zweifelhafter Titel, welche langen Tage?, heißt das Buch doch im Original viel treffender nach dem Mittelpunkt des Ganzen, der Bar „Das Haus am Ende der Nacht“) erzählen keine neue Geschichte. Die Insel liegt zwar weit ab, aber auch hier spielen sich die gleichen Dinge ab wie überall auf der Welt. Es wird gelebt und geliebt, ein wenig karger vielleicht als anderswo, Kinder werden geboren, werden erwachsen, Hoffnungen werden gehegt und zerschlagen, Glück und Unglück liegen nah beieinander. Kriege, Weltpolitik, zögerlicher Wohlstand, der Mittelmeertourismus mit seinen Chancen und Gefahren, die Finanzkrise – auch auf Castellamare bekommt man das zu spüren, ein wenig gedämpft vielleicht, ein wenig verzögert. 
Auch wenn also weder Form noch Inhalt des fast 500 Seiten starken Romans überraschen, ist er ein großes, wunderbares Lesevergnügen. Niemals platt, niemals kitschig und niemals in Klischees versinkend, mit großem, ruhigen Atem erzählt, kann der Leser ohne Reue eintauchen in die Welt von Castellamare und sie am Ende ein wenig wehmütig verlassen. Beste Unterhaltung!