Rezension

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Empowerment in der Niederlage

Send Nudes -

Send Nudes
von Saba Sams

Saba Sams’ Kurzgeschichtensammlung „Send Nudes“ handelt von Frauen – von jungen, von heranwachsenden, von Frauen im mittleren Alter, die sich nach Liebe sehnen, nach Leidenschaft, nach Partnerschaft – sei es familiär, freundschaftlich oder romantisch –, die unter der Abwesenheit von Nähe leiden, unter den gesellschaftlichen und selbstauferlegten Erwartungen an ihr Verhalten, an ihre Körper, an das Frausein an sich, die verloren sind, die unter Abhängigkeit, Einsamkeit und unter emotionaler sowie sexueller Gewalt leiden. Es geht um die Anstrengungen menschlicher Beziehungen – zu Männern, Freundinnen, anderen Frauen, Eltern – und das (Heran)Wachsen.

Sams’ Protagonistinnen sind ganz unterschiedlich. Mal stehen sie mitten im Leben und versuchen sich selbst wiederzufinden, mal stehen sie noch ganz am Anfang und versuchen herauszufinden, wer sie überhaupt sein wollen und wo sie hingehören. Mal haben sie Namen, mal nicht. Mal begleitet man als Leser*in eine Protagonistin über mehrere Tage und Wochen und dann wieder nur einen kurzen Augenblick, etwa für eine Nacht lang. Gemeinsam haben sie alle, dass sie sich mehr oder weniger allein den Herausforderungen des Lebens – des Frauseins – stellen müssen. Es gibt mal eine Freundin, mal eine Vertrauensperson, doch meistens sind scheinen sie isoliert. Die Personen an ihrer Seite sehen nicht, was in den Protagonistinnen vor sich geht, sind zu selbstbezogen oder eher: selbst zu belastet. Die Mädchen und Frauen schlagen sich allein durch, machen ihre Erfahrungen, verdrängen, verarbeiten, straucheln, fangen von vorn an, wachsen.

Sam’s Geschichten haben nur selten ein Happy End, und selbst diese haben einen leicht bitteren Nachgeschmack. Dank ihrer eher nüchternen, distanzierten Sprache, der Namenlosigkeit einiger Protagonistinnen wirken die Leben der Frauen allzu trist, fast schon hoffnungslos und selbst die kleinen Siege fühlen sich eher wie Niederlagen an. Gleichzeitig verbergen sich genau darin die Stärke und das Potenzial in den Geschichten. Sie reißen den Leser*innen die rosarote Brille von der Nase und zeichnen ein realistisches Bild. Das Leben ist hart und grausam, welchen Einfluss die prägenden Erlebnisse auf die Frauen in Zukunft haben werden, das bleibt eine Leerstelle. Aber sie machen klar, wie stark und kreativ Frauen sind, dass sie in Schwierigen Situationen Kraft finden und nach bitteren Enttäuschungen von vorne beginnen oder wenigstens weiter machen, dass jede Einzelne eine Kämpferin ist: Nicht immer gewinnen sie, aber sie lassen sich auch nicht unterkriegen, sondern gehen weiter Sie erzählen von Nächstenliebe und Selbstliebe. Die Geschichten zeigen, dass keine Frau mit ihren Erfahrungen allein ist, jede hat irgendwann irgendwie ähnliche gemacht, sie alle teilen dieselben Narben, mal mehr, mal weniger gut sichtbar. Sams’ Kurzgeschichten sollen nicht gefallen, sie sollen bloßlegen. Sie zeigen, dass Empowerment nicht immer ein Siegeszug sein, manchmal ist es bloß eine (Selbst)Erkenntnis.

5 von 5 Sterne und eine absolute Empfehlung für alle, die sich trauen, sich dem Hässlichen zu stellen.