Rezension

Fesselnd mit nicht vollständig genutztem Potenzial

Schattendiebin - Die verborgene Gabe
von Catherine Egan

Bewertet mit 3.5 Sternen

Das Buch spielt in einer weitgehend fiktiven Welt, deren Hexenverfolgung aber stark an unser ausgehendes Mittelalter erinnern. Hexen und Zauberei allgemein gelten als böse und stehen unter Verfolgung. Doch mit zunehmendem Voranschreiten der Handlung enthüllt dieses Weltenkonstrukt noch mehr faszinierende Details: eine Revolution einer Glaubensgruppe gegen eine andere beispielsweise, aber auch zu den Hintergründen dieser Welt, zu fast vergessenen Bräuchen, zu Magie, die hier über Schreiben mit einer Feder umgesetzt wird und anderen Wesen.
Gerade in Bezug auf diesen Weltenaufbau bin ich also gespannt darauf, wie die Elemente in den Fortsetzungen weiterentwickelt werden, besonders natürlich auch, was Julias Gabe angeht.

Das Buch ist in erster Linie seeehr fesselnd. Ich habe es an einem Abend begonnen, und mein Plan war eigentlich nur, die ersten Seiten zu lesen, um einen Eindruck von dem Stil zu erhalten, und dann ins Bett zu gehen. Ums kurz zu machen: Es sind 70 geworden. Ich konnte mich nicht mehr von dem Buch losreißen, es zog mich in seinen Bann und in diese fremde Welt hinein. Ich tauchte komplett ab in die dunklen Gassen Spiras, dem Herrenhaus mit all seinen Geheimnissen und der lauernden Gefahr. Denn schon der Prolog weckt diesbezüglich Spannung, da bereits dieser mit einem Mord endet.
Und obwohl man als Leser schnell seine Ideen hatte, blieben auch für mich die Motive der Bewohner des Herrenhauses lange im Dunklen. Dazu kamen immer mal wieder Passagen aus anderen Sichten, die man als Leser lange nicht wirklich zuordnen kann, und die weiter unterschwellige Spannung wecken. Action dagegen lässt relativ lange auf sich warten, die Handlung beschränkt sich lange eher auf Julias Spionage im Haus, die nur teilweise zu Ergebnissen führt, sodass die Geschichte erst im letzten Drittel wirklich Tempo aufnimmt und das Potenzial in diesem Band noch nicht so ganz genutzt wurde.

Julia ist eine eher ungewöhnliche, durchaus aber starke Protagonistin. Sie ist Diebin und träumt davon, endlich reich zu sein und entsprechendes Leben zu führen, was ihr ihr neuer Auftrag nun in Aussicht stellt. Dafür stellt sie auch jede Moral zurück, ist gewissenermaßen also in der allgemeinen Betrachtung egoistisch, und doch lässt sich das vielleicht auch mit dem Verlust ihrer Eltern und ihrer eher ärmlichen Kindheit begründen.
Denn auch wenn sie sonst nicht unsympathisch ist - die Menschen, die ihr nahestehen, wie ihren Bruder, liebt sie über alles, sie ist intelligent und wachsam und gar nicht mal so unbegabt darin, eine naive Dienstbotin zu mimen -, unterscheidet sie das doch von anderen Protagonistinnen, da sie eben nicht selbstlos ist. Umgekehrt findet sich hier vor allem auch Konfliktpotenzial, wenn Julia damit konfrontiert wird, ob das wirklich alles ist, was zählt, selbst wenn sie ihre Zweifel anfangs noch niederkämpft.

Die Menschen, die ihr nahestehen, sind im Allgemeinen ihre kleine Ersatzfamilie: Esme, die sie aufgenommen hat, zum Beispiel. Aber auch ihr Bruder Dek, wobei die enge Beziehung zwischen den beiden, die sich um den anderen kümmern, echt süß ist.
Insgesamt habe ich jetzt keinen Charakter direkt liebgewonnen und auch die Liebesgeschichte konnte mich nicht wirklich mitreißen, dennoch deuten doch einige Charaktere tiefgründigere Züge an.

Fazit: Fesselnde Geschichte in einer komplexen, tiefgründigen Welt mit viel Potenzial, das noch nicht vollständig genutzt wird, und einer selbstbewussten, aber anfangs wenig selbstlosen Protagonistin, die sich im Verlauf der Handlung in einem inneren Konflikt wiederfindet