Rezension

Frischer Blickwinkel: Fängt da an, wo andere Krimis aufhören

Unschuldslamm - Judith Arendt

Unschuldslamm
von Judith Arendt

Wenn Autoren unter einem Pseudonym schreiben, schreit das förmlich nach einer kleinen Recherche. Und so hat es auch hier nicht viele Klicks gebraucht, um im auskunftsfreudigen Internet auf Tanja Weber zu kommen, die unter dem Pseudonym Judith Arendt die hier vorliegende, neue Krimireihe um die Schöffin Ruth Holländer schreibt.

Und auch ein genauerer Blick auf die Veröffentlichungen von Tanja Weber lohnt und konnte mein Interesse wecken. Im Aufbau Verlag erschienen von ihr bereits „Sommersaat“ und „Oberland“, ebenfalls Krimis, von denen ersterer ihr sogar eine Nominierung für den renommierten Glauser-Preis einbrachte.

Wenn man dann noch berücksichtigt, dass die Autorin bereits an Drehbüchern für „Verliebt in Berlin“ und „Türkisch für Anfänger“ mitgeschrieben hat, kann man ungefähr erahnen, in welche Richtung ihre Krimis gehen könnten. Denn diesen seichten Ton lockerer Abendunterhaltung merkt man dem „Unschuldslamm“ an einigen Stellen deutlich an. Dennoch fehlt es ihm nicht an der nötigen Tiefe, um einen nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen.

„Unschuldslamm“ überzeugte mich zunächst vor allem durch den neuen Blickwinkel. Denn dieser Krimi beginnt an der Stelle, an der die Genrekollegen normalerweise aufhören. Beim Gerichtsprozess. Diesen erlebt man als Krimileser in den seltensten Fällen. Begleitet man für gewöhnlich die Kommissare bei ihren Ermittlungen, sind diese hier bereits abgeschlossen. Und es ist eine willkommene Abwechslung, die Kommissare mal nur als Nebendarsteller, als reine Zeugen vor Gericht und nicht als die Helden mit Dienstwaffe zu erleben.

Die Hauptrollen übernehmen in diesem Buch andere. Ruth Holländer zum Beispiel. Sie ist Ende 40, geschieden, Mutter zweier Kinder, lebt in Moabit und betreibt ein kleines Bistro. Als ein Brief sie unvermittelt zur Schöffin ans Kriminalgericht Berlin beruft, stolpert sie völlig unwissend und unvorbereitet in das Amt einer Laienrichterin. Und gibt damit gleichzeitig auch dem Leser die Möglichkeit, sich in Ruhe mit diesem Amt vertraut zu machen. Lange Theorievorträge braucht man hier aber nicht fürchten, „learning by doing“ ist angesagt und so finden sich Leser und Schöffin gemeinsam Stück für Stück in diesem neuen Aufgabenfeld zurecht.

Und Ruths erster Prozess, dem sie beiwohnen soll, schlägt gleich richtig zu Buche: Eine junge Frau wurde ermordet, Derya Demizgül. Angeklagt ist nun ihr Bruder Aras, er soll seine Schwester erstochen haben, schweigt aber zu den Vorwürfen. Und es ist auf den ersten Blick schon fast traurig, wie es alleine die Namen schaffen, ein bestimmtes Bild von diesem Mordfall zu erzeugen. Ganz bewusst sollen hier Stichworte wie „Ehrenmord“ oder „Clan“ assoziiert werden. Aber so einfach macht es sich die Autorin nicht, hinter diesem Prozess verbirgt sich keine abgetragene Boulevard-Schlagzeilen-Story, sondern eine gut erzählte und gut aufgebaute Geschichte, die der heutigen Zeit gerecht wird und viele authentische Figuren hervorbringt.

Dabei bieten insbesondere die Prozesstage im Gericht ein erfrischend anderes Szenenbild, die Autorin wechselt in ihren Erzählsträngen immer mal wieder den Blickwinkel und fokussiert neben der Vergangenheit des Opfers auch ihre Freunde und Familie, sodass es ausreichend Ansatzpunkte für den Spannungsbogen gibt.

Fazit: Judith Arendt erreicht für mein Empfinden ein angenehmes Gleichgewicht zwischen Spannung und Unterhaltung, man bekommt hier aber einen Kriminalroman geboten, der nicht dem üblichen Prozedere entspricht. Eine Schöffin als Protagonistin eröffnet eine neue Erzählperspektive, die die Autorin gut umsetzt, bei der aber auch das Privatleben einer geschiedenen Endvierzigerin im Mittelpunkt steht. Wer sich daran nicht stört, kann sich in diesem Buch einem Mordfall mal auf ganz andere Weise nähern.

Gesamteindruck: Völlig zufriedene 4 Sterne, vor allem für die Idee einer Schöffin als Protagonistin.

Chronologie zur Schöffin Ruth Holländer-Reihe:
# 01 - Unschuldslamm (2014)
# 02 - Sündenbock (erscheint im März 2015)

Rezension auch auf
http://wortgestalt-buchblog.blogspot.de