Rezension

Grandios

Tage zwischen Ebbe und Flut - Carin Müller

Tage zwischen Ebbe und Flut
von Carin Müller

Bewertet mit 5 Sternen

Ein Buch zum Thema Demenz zu schreiben ist mit Sicherheit nicht einfach. Es ist ein Thema, das allgegenwärtig ist, aber dennoch sehr sensibel.

Der Klappentext des Buches klingt eigentlich sehr witzig, sehr lustig und doch klingt ein wenig Dramatik durch. Kann die Autorin Carin Müller es so sensibles Thema so verpacken, das es nicht deprimierend wird? Das es aber auch nicht ins lächerliche gezogen wird durch zu viel Klamauk?

Ich habe das Buch gelesen und ich kann sagen: Sie kann!!

Eigentlich wollte ich, nur wenige Tage vor dem Urlaub, kurz reinschmökern und so herausfinden, ob es urlaubstauglich ist. Und was soll ich sagen? Es war es nicht. Aber nicht weil es nicht passte, sondern weil ich nicht mit Lesen aufhören konnte und aus dem „kurz reinschmökern“ ein „vor dem Urlaub noch weggelesen“ wurde.

Carin Müller schafft einen unglaublichen Spagat und hat einen wunderbaren Familienroman geschrieben, der sowohl lustige Momente als auch sehr bewegende Momente in sich vereint. Ihr gelingt es, die Charaktere so glaubhaft darzustellen, dass man in der Geschichte gefangen wird.

Man merkt vom ersten Moment an, das die Autorin weiß, wovon sie schreibt. Dass sie einen „Alzheimer-Patienten“ im unmittelbaren Umfeld hat. Dass sie ihn genau beobachten kann und konnte und das hier sehr viele ihrer eigenen Erfahrungen eingeflossen sind.

Felix ist ein wunderbarer Mensch. Einer, der in seinen klaren Momenten ganz genau weiß, was mit ihm passiert und der auch damit hadert. Der nicht versteht, warum gerade ihn das Schicksal so trifft, der sich zurückzieht wenn alles um ihn herum wieder so unklar ist, der aber während seiner „hellen“ Momente voll da ist und ganz genau beobachtet.

Felix hat mich – in seiner ganzen Art – an einen Menschen in meiner näheren Umgebung erinnert. Über Jahre hinweg hatte er mit diese Krankheit zu kämpfen, bis er dann den Kampf verloren hat. Schlimm, das er zum Schluss gar niemanden mehr erkannt hat. Gerade am Anfang, wo er hin und wieder klar war, hatte er immer wieder gesagt, dass er gar nicht weiß was mit ihm passiert und warum.

Seine Frau Ellen war mir zum Anfang sehr unsympathisch, ich habe sie absolut nicht gemocht. Aber man lernt im Laufe des Buches dann immer mehr ihre Beweggründe kennen, ihre Ängste und ihre Gefühle. Zuzusehen, wie ein geliebter Mensch alles vergisst was einen als Paar verbindet, ist sehr hart. Ihre Gefühle, ihr Gedanken werden von der Autorin so behutsam dargestellt, das mit mitempfinden kann und auch viele Emotionen von Ellen auf den Leser selbst übergehen.

Die Geschichte hat es geschafft, mich zum Lachen zu bringen, mich nachdenklich zu stimmen und mich zum Weinen zu bringen.

Ein Absatz im Buch hat mich besonders bewegt, ich kann mir gut vorstellen, das auch mein Onkel so empfunden haben muss.

»Felix sah wieder aufs Meer und dachte nach. Nach einem Moment drehte er sich zu den beiden Frauen um und strahlte sie an. Es war jetzt alles klar. „Das bin ich“, er deutete aufs Wasser. „Die Wellen sind mein Kopf. Alles ist da. Alles. Aber es bewegt sich. Ich kann es nicht festhalten. Aber es ist alles da. Ich weiß es.“ Er wirkte in diesem Moment regelrecht erleichtert und gelöst.« (Seite 36)

Ich sage „Vielen Dank für dieses Buch.“ und vergebe 5 von 5 Sternen.