Rezension

Großartig

Melnitz -

Melnitz
von Charles Lewinsky

Bewertet mit 5 Sternen

Nachdem Charles Lewinsky 2020 mit „Der Halbbart“ für den deutschen Buchpreis nominiert war, hat der Diogenes-Verlag dieses Jahr gleich noch das eigentlich ältere „Melnitz“ in neuem Gewand unters Volk gebracht. Und das ist ein Glück! Denn „Melnitz“ ist mindestens genauso toll wie „Der Halbbart“ und gehört unbedingt gelesen!

Über mehrere Jahrzehnte und vier Generationen folgen wir hier der Familie Meijer. Geschickt pickt sich Lewinksy natürlich nur die Jahre heraus, in denen ordentlich was passiert. Sei es persönliches wie Hochzeiten, verbotene Liebschaften und Todesfälle oder Geschichtliches wie die erste Volksabstimmung in der Schweiz und die zwei Weltkriege. Wie all das auch noch besonders die Juden trifft und mit welch verbreitetem, tiefsitzenden Rassismus sie schon immer leben mussten ist hochinteressant. Ich habe viel gelernt über Traditionen, Geschichte und Alltägliches. Dabei muss man die fantastisch charakterisierten Familienmitglieder der Meijers – auch die sperrigen! – einfach ins Herz schießen.

Durch die Jahrzehnte hinweg und besonders gerne dann, wenn es für die Juden mal wieder bitter wird, taucht Onkel Melnitz auf. Der Tote Onkel, der alles schon erlebt hat und über das Unglück lacht. Der Geist, der ausspricht, was niemand hören will. Sein Zynismus macht betroffen und sein gleichzeitiges Existieren und Nichtexistieren macht ihn zum unbeliebten Gewissen der Familie.

Ich jedenfalls bin jetzt Lewinsky-Fan. Nach Beenden des Buches habe ich schmerzhaft die wunderbare Familie Meijer vermisst – genauso, wie ich Anfang des Jahres nach der Lektüre des „Halbbarts“ Sebi und seine kleinen Weisheiten vermisst habe. Wer sich für schweizer Geschichte interessiert, wer Geschichten mag, die vor Erzählfreude sprühen, wer das Bittere und das Schöne liebt, der sollte hier auf jeden Fall zuschlagen. Ich hab' was gelernt, ich hab' geschmunzelt, ich hab' gelitten: Ein großartiges Buch!