Rezension

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Kleiner Gruselfaktor trotz unglaubwürdiger Charaktere

Tochter der Flut - Jake Halpern, Peter Kujawinski

Tochter der Flut
von Jake Halpern Peter Kujawinski

Bewertet mit 2 Sternen

Auf der Insel, auf der Marin lebt, wechseln sich immer 14 Jahre des Tages mit 14 Jahren pechschwarzer Nacht ab. Wenn Letztere eintritt, müssen alle Häuser des Dorfes auf eine bestimmte Art hergerichtet werden, die Bewohner ihre Sachen packen und auf Schiffen in das Wüstenland reisen, bis sie nach 14 Jahren zurückkehren können. Genau diese Abfahrt verpassen Marin und ihr Bruder Kana, da sie ihren Freund Line suchen, der vermisst wird. Doch die hereinbrechende Nacht bringt neben Dunkelheit auch unheimliche Wesen hervor.

Der Klappentext mit seinen sechs kurzen Sätzen hat ganz eindrücklich vermittelt, was für ein spannendes Buch und eine mitreißende Liebesgeschichte mich erwarten würde. Doch es zeigte sich schnell, dass er nicht nur in dieser Hinsicht in eine falsche Richtung führte, sondern auch inhaltliche Fehler aufwies.

Zunächst bleiben nicht nur Marin und Line zurück, sondern auch Kana, was sehr relevant für die Geschichte ist. Dann finde ich es – nach eingehender Betrachtung der Umstände – ungeheuerlich zu sagen, dass Marin daran Schuld wäre. Sie denkt es vielleicht selbst, aber jüngeren Menschen (Zielgruppe würde ich bei 12-14 Jahren ansetzen) dieses Verständnis von Schuld zu vermitteln, ist meiner Meinung nach falsch. Zumal auch zu keiner Zeit im Buch aufgeklärt wird, dass es definitiv nicht Marins Schuld ist. Was zuletzt noch völlig fehlt, ist die angekündigte Liebesgeschichte. Marin und Line sind lediglich sehr gute Freunde, aber es knistert zu keinem Zeitpunkt zwischen ihnen und eine Liebe, die über das platonische hinausgeht ist nicht erkennbar. Lediglich ein Satz gegen Ende, dass Marin sich vorstellt, mit Line verheiratet zu sein, reicht dafür nicht aus.

Auf den ersten 120 Seiten des Buches passiert nichts. Es ist lediglich die Einleitung, die die Menschen auf der Insel beschreibt und wie es zu der Situation kommt, dass die 3 Protagonisten plötzlich alleine dort sind. Eine gute Erklärung und Einleitung ist wichtig, gerade für Fantasy Stories, daher wäre dies ja gar nicht so schlimm, ….. wenn es nicht circa 32% der gesamten Seitenzahl umfassen würde!

Bei den verbleibenden Seiten kann ich aber nicht leugnen, dass sich eine spannende Geschichte entwickelt, durchaus mit Grusel-Potenzial, was ich nicht erwartet hätte. Gerade jetzt, kurz vor der Wintersonnenwende, wenn es so dunkel draußen ist, will man sich lieber nicht vorstellen, wie es ohne elektrisches Licht wäre. Da muss ich zugeben, dass ich Zuhause schon die Festbeleuchtung eingeschaltet habe, um Gedanken an die dunklen Wesen zu vertreiben.

Dieser Grundspannung haben allerdings mehrere Komponenten geschadet.

Zunächst wechselt die Perspektive im Buch dauernd zwischen den drei Personen hin und her. Dies geschieht komplett unsystematisch (zumindest wäre mir kein System aufgefallen), häufig innerhalb eines Kapitels. Manchmal musste ich einen Absatz auf der vorherigen Seite nochmal lesen, um mir klar zu werden, in wessen Kopf ich mich gerade befinde. Das hindert den Lesefluss sehr stark.

Mein größter Kritikpunkt ist allerdings, dass die Aktionen der Protagonisten zum Teil absolut unglaubwürdig sind.

ACHTUNG, SPOILERALARM.

Die drei glauben sich alleine auf der Insel, finden einen Zettel auf dem es heißt „Versteckt euch“ und die allererste Frage, die sie sich stellen ist „Wo?“. Erst an zweiter Stelle kommt „Vor wem?“ und zu keinem Zeitpunkt wird gefragt, wer den Zettel geschrieben hat und der Schluss gezogen, dass sie doch nicht alleine auf der Insel sind und sogar jemand da ist, der ihnen helfen will.

Zweite Situation: Jemand/etwas versucht in den Raum zukommen, um mich – sehr wahrscheinlich - zu töten. Wenn das Geräusch weg ist, gucke ich in den Flur, sehe niemanden, gehe in den Flur, immer noch niemand – ach, dann können wir ja draußen rumlaufen ohne Waffen oder ähnliches und wenn wir das schon machen, teilen wir uns auch noch direkt auf! Das ist doch keine glaubwürdige Reaktion!

SPOILERALARM ENDE.

Zusammenfassend bin ich nicht besonders begeistert. Der Klappentext ist inhaltlich nicht korrekt und vermittelt auch bezogen auf das Genre falsche Erwartungen an das Buch. Durch die unglaubwürdigen Handlungen kommt gar keine Identifikation mit den Charakteren auf, da sie sehr gestellt und unnatürlich wirken. Dass ich mich trotz allem etwas gegruselt habe, ist entweder meiner Fantasie geschuldet, oder dass die Autoren zumindest einen Teil ihrer doch sehr guten Idee auf das Papier übertragen konnten. Daher noch 2 von 5 Sternen.