Rezension

Lebensabend in der Wildnis Kanadas – eine berührende Geschichte

Ein Leben mehr - Jocelyne Saucier

Ein Leben mehr
von Jocelyne Saucier

Bewertet mit 5 Sternen

Das ist die Geschichte dreier Männer, die in der tiefsten Wildnis im Norden Kanadas ihren Lebensabend verbringen. Zurückgezogen und selbstbestimmend ist ihr Leben, bis eines Tages eine Fotografin in ihrer Einsiedelei auftaucht, die nach einem gewissen Boychuck sucht, einem Mann, der angeblich die Großen Brände überlebt haben soll. Kurze Zeit später zieht eine zierliche, vom Leben gezeichnete alte Dame in die Lebensgemeinschaft in der Wildnis. Beide Frauen bleiben und mit den Veränderungen die diese Entscheidung für jeden dieser Menschen mit sich bringt, hätte keiner gerechnet…

Meine Meinung:
Mit dem Roman „Ein Leben mehr“ von Jocelyne Soucier bewege ich mich mal wieder in einem für mich untypischen Genre. Angesprochen durch das markante Cover wurde ich einmal mehr auf einem meiner „Ausflüge“ überrascht, bereichert und verzaubert.

Jocelyne Soucier erzählt in ihrem Buch das Leben dreier Aussteiger, über 90 jährige Männer, die sich für ein selbstbestimmtes und freies Leben in der tiefsten Wildnis Nordkanadas entschieden haben, fernab von staatlichen und zivilgesellschaftlichen Zwängen. Auch wenn der Tod sie immer wieder in ihren Waldhütten besucht, blicken die Männer ihm ohne Angst und mit einer stoischen Gelassenheit entgegen. Als eine namenlose Fotografin, die über die Großen Brände von 1916 und ihre Überlebenden recherchiert und eine alte Frau, die nach vielen quälenden Jahren endlich aus einer psychiatrischen Anstalt entkommen konnte das abgeschiedene Leben der Männer durchdringen, verändert sich das Leben aller Beteiligten. 

Die Autorin schildert die Erlebnisse dieser Menschen unaufgeregt sanft und warmherzig. Die Beschreibungen der Schauplätze und Protagonisten sind bildhaft und authentisch. Ich rieche und erlebe den Wald, sehe die Blockhütten vor mir und kann mir jede Falte und Furche in den Gesichtern der Alten vorstellen. Jocelyne Soucier verfällt hier aber keinesfalls in Romantik oder Kitsch, sie beschreibt das Leben in der rauen Wildnis unverfälscht und facettenreich. Ungewaschene Männerkörper, stinkende Tierfelle, eisigkalte Winter.

Harmonisch verwebt Soucier die Geschichte der Aussteiger mit den Nachforschungen der Fotografin über die Großen Brände von 1916. Ein dramatisches Ereignis, das damals mehr als 200 Menschen das Leben nahm und die Überlebenden für den Rest ihres Lebens traumatisierte. Die Schilderungen der Autorin über diese Feuerbrunst haben mich sehr bewegt. Ich sah Menschen vor mir, die sich in Panik in Flüsse stürzen oder in die Erde eingraben. Menschen, die dem Feuer nicht entkommen können und der tödlichen Gefahr direkt ins Auge blicken müssen. Ich sehe Kinder, die ihre Eltern verloren haben und durch eine schwarze und vollkommen zerstörte Landschaft irren. Dieses schreckliche Erlebnis verarbeitet einer der Protagonisten auf besondere und sehr persönliche Art und Weise. Diese Entdeckung ist nicht nur für die Fotografin eine Offenbarung. 

Das Ende des Buches hat mich überrascht aber auch unbändig gefreut und ergriffen.

Mein Fazit:
Der Roman „Ein Leben mehr“ von Jocelyne Soucier wurde in Kanada für 14 Literaturpreise nominiert. Ein warmherziges und berührendes Buch über das Alter, die Liebe und ein selbstbestimmtes Leben. „Ein Leben mehr“ hat mich auch nach beenden der Lektüre nicht mehr los gelassen, ich habe jede Zeile genossen und kann es nur jedem weiterempfehlen.