Rezension

Manchmal gibt es nur Opfer

Verlassen -

Verlassen
von Christiane Dieckerhoff

Bewertet mit 4 Sternen

or in paar Jahren bin ich erstmals auf die Spreewaldkrimis von Christiane Dieckerhoff gestoßen und fand die Hauptfigur Klaudia Wagner gleich sympathisch. Die spröde Einzelgängerin, die es aus dem Ruhrpott in den Spreewald verschlagen hat (und nicht, wie in so vielen anderen Regionalkrimis, an die Nordsee), nicht mehr ganz jung, trotz aller Erfahrung nicht abgeklärt, unterscheidet sich angenehm von Superheld*innen - bodenständig und glaubwürdig eben, mit all ihren Unsicherheiten und "Altlasten".

Um emotionale Altlasten und und die Folgen einer deutsch-deutschen Geschichte geht es auch im neuesten Spreewaldkrimi, "Verlassen". Eine offensichtlich wohlhabende Touristin aus Dortmund ist verschwunden, ihre erwachsenen Kinder melden sie als vermisst. Zuletzt wurde die Frau gesehen, als sie betrunken Richtung Hafen torkelte. Ein Förster findet später ihre Leiche.

Auf einer zweiten Erzähl- und Zeitebene geht es um Männi und Matte, zwei Geschwister in der damaligen DDR, offenbar noch im Vorschulalter. Doch immer wieder verschwindet ihre Mutter für Tage, überlässt die Kinder sich selbst. Die kleine Männi muss sich um den jüngeren Bruder kümmern, doch was tun, wenn die abgeschnittenen Brotscheiben alle sind? Die Lage eskaliert, als die Mutter eines Tages überhaupt nicht mehr zurückkommt und Matte schwer krank wird. Später wird klar: Sie hat die Kinder im November 1989 verlassen, im Westen einen neuen Anfang gesucht. Die Kinder blieben zurück, eingeschlossen in der Wohnung, und hätte eine Nachbarin, alarmiert durch Mattes ständiges Husten, nicht das Jugendamt alarmiert, hätten die Geschwister womöglich nicht gerettet werden können. Doch was heißt schon Rettung, wenn der Preis des Überlebens Trennung und Heimkarrieren sind?

Als die Verbindungen der toten Touristin in den Spreewald klar werden, scheinen Motiv und Täter  nahe liegend - doch wann ist es schon jemals einfach? Schnell wird den Polizisten allerdings klar, dass es Fälle gibt, in denen es nur Opfer gibt. Hier hat die Familientragödie schon früh begonnen. Um Weichenstellungen, neue Perspektiven und das Überdenken bisheriger Vorstellungen geht es daneben auch für Klaudia Wagner und ihre Kollegen - das eröffnet Möglichkeiten, die schon neugierig auf den nächsten Spreewaldrkimi machen. Wie schon bei den vorangegangenen Büchern sorgen die Schilderungen der Fleete und Flussläufe, der sorbischen Traditionen und einer Regon im Schatten rechter "Siedler" für eine Athmosphäre zwischen landschaftlicher Schönheit und latenter Bedrohung.