Rezension

Mit Oma auf Achse

Sehnsucht ist ein Notfall - Sabine Heinrich

Sehnsucht ist ein Notfall
von Sabine Heinrich

Bewertet mit 4 Sternen

Nach 60 Jahren Ehe trennt sich Evas 79jährige Oma von Opa. Eva selbst, 33, lebt seit einigen Jahren mit ihrem Freund zusammen, eigentlich glücklich, wie sie meint. Jetzt möchte sie gerne geheiratet werden und ein Kind. Bei einem Zug durch die Kneipen beginnt sie eine Affäre. In dieser Situation hauen Eva und Oma kurzerhand mit dem Auto nach Italien ab. Denn Oma soll zum ersten Mal in ihrem Leben das Meer sehen, und Eva will eine Entscheidung zwischen ihren Männern treffen, die ihr angesichts deren permanent eintreffenden SMS nicht leicht gemacht wird.

 

Im Klappentext wird der Roman als Road Novel bezeichnet. M.E. erscheint das etwas hoch gegriffen. Denn dieses Genre umfasst ja der Straße gewidmete Geschichten, die meistens von Weite und Freiheit erzählen und deren männliche Helden unermüdlich herumwandern oder –fahren. Hier ist die Autofahrt der Protagonistinnen nach Italien doch eher schmückendes Beiwerk.

Und unsere Helden sind auch keine Männer, sondern zwei sehr unterschiedliche Frauen, verbunden durch eine innige Großmutter-Enkelin-Beziehung. Diese hat ihren Ursprung darin, dass Eva von ihrer Oma voller Liebe groß gezogen wurde, nachdem ihre Mutter (Tochter der Oma) in jungen Jahren starb. Ihr Verhältnis intensiviert sich auf der Reise, zumal umgekehrt jetzt Eva Verantwortung für ihre schwächelnde Oma übernimmt und Oma erstmals Persönliches aus ihrer Vergangenheit offenbart. Es zeigt sich, dass auch Oma einmal in derselben Situation war, sich für ihre große Liebe oder für ihren ungeliebten Ehemann zu entscheiden, dabei aber in einer anderen Zeit auf Konventionen Rücksicht nahm. In ihrer Oma findet Eva eine gute Ratgeberin, ohne von ihr explizit in eine bestimmte Entscheidungsrichtung gedrängt zu werden.

 

Beide Frauen werden wunderbar dargestellt. Der zwischen ihnen vorherrschende scherzhafte Umgangston lässt einen das Buch mit Spaß lesen. Besonders Oma ist eine echte Originaltype aus dem Ruhrpott. Sie ist „keine hippe Seniorin, die sonntags im Tigerprint-Oberteil zum Tanzen geht und dienstags zu Internet II in die VHS“ (S. 236). Stattdessen liebt sie es, Kittelschürzen tragend die Tage vor dem überlauten Fernseher zu verbringen, Bild-Bingo zu spielen, Cola zum Frühstück zu trinken und Döner zu essen. Auf der Reise jedoch wächst sie über sich hinaus – sie lernt den Umgang mit dem Smartphone, trinkt Coffee to go aus „Schnabeltassen“ und färbt sich die Haare rot. Daraus ziehe ich das schöne Fazit, dass wir nie zu alt sind für irgendetwas.

Die Geschichte endet mit Hegels berühmtem Spruch „die Furcht zu irren ist schon der Irrtum selbst“. Hieran anknüpfend mag diskutiert werden, ob das Ende offen ist oder nicht, insbesondere was denn nun mit Evas Männern ist. Darüber sollte sich jeder selbst ein Urteil bilden.

Sehr gefallen haben mir die in den Text eingearbeiteten verschiedenen Songtexte und –titel, die natürlich eine bestimmte Bedeutung haben.

Ein schöner Debütroman der als WDR-Moderatorin bekannten Autorin.