Rezension

Packende Dystopie

Cainstorm Island - Der Gejagte - Marie Golien

Cainstorm Island - Der Gejagte
von Marie Golien

Bewertet mit 5 Sternen

»Meine Zuschauer lieben die Gefahr. Zumindest, wenn ich sie erlebe und sie durch meine Augen dabei zuschauen dürfen.« 
Der 17-jährige Emilio kennt nur eine geteilte Welt: auf der einen Seite Asaria - reich und hochtechnisiert, auf der anderen Cainstorm Island - überbevölkert, verdreckt und verarmt. Emilio lebt in der Megacity Milescaleras auf Cainstorm Island und ihren Slums, die von skrupelosen Gangs beherrscht werden. Um die Schulden seiner Familie abzutragen geht Emilio in seiner Verzweiflung einen Deal mit der Firma Eyevision aus Asaria ein. Ein in seinem Kopf implantierter und an den Sehnerv angeschlossener Chip wird zukünftig täglich für eine halbe Stunde übertragen, was Emilio sieht. Die auf seinem Videokanal hochgeladenen Clips sollen waghalsige Kletter- und Trainsurf-Stunts zeigen, um die Zuschauerzahlen in die Höhe zu treiben. Denn je mehr Likes und Kommentare er hat, desto mehr Geld fließt - eigentlich eine einfache Sache für Emilio. Doch als Emilio während eines Livestreams den Bruder des Anführers der gefürchteten, brutalen Gang "Las Culebras" in Notwehr tötet, gerät er in größte Gefahr und sein Leben nimmt eine schreckliche Wendung. Rasant verbreitet sich das Video und Emilio wird zum Gejagten. Eine gnadenlose Hetzjagd auf Emilio beginnt. Doch nicht nur die Gang will seinen Tod, auch Millionen der Zuschauern aus Asaria fordern eine blutige Show und Eyevision wittert ein großes Geschäft ¿ "Cainstorm Island: Der Gejagte" ist der unglaublich fesselnde Auftakt einer dystopischen Reihe der deutschen Autorin Marie Golien, die auch Entwicklerin von interaktiven Anwendungen und Spielen ist. Goliens mitreißender Schreibstil lässt uns schnell abtauchen in die atemberaubende, packende Geschichte der Hauptfigur Emilio. Sehr anschaulich und faszinierend schildert die Autorin ihre in Arm und Reich geteilte Welt, so dass man schnell ein Bild von Emilios Heimat vor Augen hat - dem heruntergekommenen, überbevölkerten Cainstorm das ein beklemmendes 3. Welt-Szenario widerspiegelt. Und auf der anderen Seite das reiche Asaria "¿die Welt dort drüben ist völlig anders: Wolkenkratzer aus Glas, die sich wie Pflanzen mit der Sonne drehen. Parks mit Büschen, die unter ihren Blüten fast zusammenbrechen, Wasserfälle und tiefe Wälder mit seltsamen Tieren." voll gelangweilter, sensationsgieriger Menschen, die sich dank Eyevision online über ihre Eyewatch immer neue Nervenkitzel fordern - "....einfach nur eine habe Stunde spannendes Kino für die Zuschauer aus dem fernen Asaria liefern. Die würden meine Stadt, Milescaleras, gerne kennenlernen, aber nicht persönlich. Das wäre zu gefährlich, zu dreckig und zu ansteckend." Schon von Beginn an hat man einen besonders tiefen Einblick in Emilios Gedanken und Gefühle, da die Ereignisse aus seiner Sicht in der Ich-Perspektive geschildert werden. Durch die einfühlsame, vielschichtige Zeichnung des sympatischen Protagonisten fällt es leicht, sich in seine schwierige Lebenswelt hinein zu versetzen. Ein junger Mann, der waghalsige Abenteuer und die tagtäglichen Herausforderungen liebt, in seinem kurzen Leben schon viel Elend erlebt hat, sich von den Banden fernhält und einfach seiner Familie helfen will. Schon bald entwickelt sich die Geschichte zu einem actionreichen, rasanten Thriller, denn unversehens steht Emilio im Zentrum einer gnadenlosen und fast aussichtslosen Hetzjagd auf ihn und seine Familie. Sehr überzeugend stellt die Autorin ihren Held im emotionalen Ausnahmezustand dar zwischen Panik, verzweifelten Kampf und Resignation. Es ist eine unglaublich temporeiche, aufreibende Achterbahnfahrt auch für uns Leser, die alles hautnah miterleben und mit Emilio mitfiebern. Mit so einigen unerwarteten Wendungen wird die Spannung bis zum überraschenden Ende immer mehr gesteigert. Das abrupte Ende lässt uns schon voller Ungeduld auf die Fortsetzung warten.

MEIN FAZIT
Ein rasant erzählter, packender Auftakt einer neuen Dystopie-Reihe mit Pageturner-Qualitäten.