Rezension

Rezension zu "Mein Vater, der Deserteur" (R. Freund)

Mein Vater, der Deserteur - René Freund

Mein Vater, der Deserteur
von René Freund

Bewertet mit 5 Sternen

Zum Inhalt

Gerhard Freund ist erst 18 Jahre alt, als er im Sommer 1944 als Wehrmachtssoldat eingezogen wird. Zusammen mit anderen Zwangsrekrutierten wird er nach Frankreich geschickt, um dort an der Schlacht von Paris teilzunehmen. Doch Gerhard Freund hat andere Pläne: Überzeugt von der Sinnlosigkeit des Krieges desertiert er mit einem älteren Kameraden – ein lebensgefährliches Unterfangen, denn Deserteure werden als Vaterlandsverräter sofort hingerichtet.

Doch der junge Soldat hat Glück im Unglück: Zwar wird er von der Résistance festgenommen und landet später gar als Kriegsgefangener in einem Umerziehungslager in den USA, doch er überlebt den Krieg und startet später eine Karriere beim österreichischen Fernsehen.

Über 60 Jahre später setzt sich sein Sohn René Freund mit dem leider nur fragmentarisch erhaltenen Kriegstagebuch des Vaters auseinander. Er reist mit seiner Familie nach Frankreich, spricht mit Zeitzeugen und versucht, das Leben seines Vater und die Kriegsjahre in Frankreich zu rekonstruieren.

Meine Meinung

Gerhard Freund starb früh an einem Hirnaneurysma, als René noch ein Kind war, und so gab es nie ein Gespräch zwischen den beiden, das mehr Licht in die Geschichte bringen könnte. Es ist schade, dass der Autor die Geschichte seines Vaters mühselig zusammensammeln musste. Doch er weiß sich zu helfen, indem er mit Zeitzeugen spricht und die ihm vorliegenden Informationen mit historischen Fakten verknüpft. Außerdem reist er zusammen mit seiner Familie nach Frankreich, um als „Kriegstourist“ auf den Spuren des Vaters zu wandeln.

Ich finde es gut gelungen, dass die Geschichte sich abwechselt mit Erzählungen aus der Vergangenheit und René Freunds Erlebnissen während seiner Reise an die einstigen Kriegsschauplätze. Dazu kommen noch weitere Nebenstränge, z. B. über Leo Müller, René Freunds Großvater mütterlicherseits.

„Mein Vater, der Deserteur“ ist nicht nur die Aufarbeitung einer Familiengeschichte, sondern auch in gewisser Weise ein Geschichtsbuch. Auch wenn Gerhard Freund selbst keine Schlacht mitgekämpft hat und seine Erzählungen im Vergleich zu anderen Soldatenerzählungen doch relativ „harmlos“ sind, berichtet dafür der Autor ungeschönt von Kämpfen und Kriegsgräueln und zitiert viele Zeitzeugen. Nicht immer etwas für ganz Zartbesaitete, aber Krieg war nunmal nicht schön, und es wäre falsch, hier ein Blatt vor den Mund zu nehmen.

Trotz der schweren Thematik ist das Buch unterhaltsam, vor allem die Passagen aus der Gegenwart sind recht locker und teilweise auch humorvoll geschrieben. Das liegt wohl in der Familie, auch die Tagebucheinträge des Vaters sind stellenweise ironisch gehalten – vielleicht ja aus Selbstschutz? Ich muss zugeben, dass diese etwas flapsig wirkende Art wohl auch dazu führte, dass mir Gerhard Freund immer etwas distanziert blieb, aber das macht der Autor wieder mit seinem Schreibstil wett. Auch wenn man Humor bei diesem Thema vielleicht nicht unbedingt erwarten würde, mochte ich das, denn er taucht nie an unpassender Stelle auf, so dass es flapsig oder pietätlos wirken könnte. Und oft genug wird es in diesem Buch – v. a. wenn Zeitzeugen zu Wort kommen – auch sehr emotional.

„Mein Vater, der Deserteur“ ist ein Buch, das noch lange nachwirkt und das man nicht einfach nach dem Auslesen weglegt und sofort mit dem nächsten Schmöker beginnt. Wir sollten René Freunds Aufforderung nachkommen und mit noch lebenden Zeitzeugen sprechen, bevor es zu spät ist.