Rezension

Sachlich interessant, nur leider emotional nicht überzeugend

Geteilte Träume -

Geteilte Träume
von Ulla Mothes

"Auch wenn meine Kinderwelt zusammengebrochen ist, [...] meine Erwachsenenwelt muss ich mir sowieso selbst aufbauen, und die gehört mir allein."

Kurz vor dem Abitur erfährt Ingke - Hauptprotagonistin in "Geteilte Träume" von Ulla Mothes - dass sie adoptiert ist. Damit verliert sie abrupt ihre kindliche Unbefangenheit und weiß zunächst nicht mehr so recht, wer sie ist und wem sie noch trauen kann. Um wieder zu sich selbst zu finden, begibt sie sich auf die Suche nach ihren Wurzeln.

Diese Handlung ist nicht gänzlich neu und wurde schon in einige Romanen aufgegriffen. Was diesen Roman jedoch besonders macht, ist die zugrundeliegende Geschichte des geteilten Deutschlands. Denn Ingke ist im Osten geboren und nach der Adoption im Westen aufgewachsen. Und so erfährt man beim Lesen nicht nur Ingkes Geschichte und die ihrer beiden Familien - der leiblichen und der Adoptiv-Familie - sondern auch einiges über das Leben in den beiden Teilen Deutschlands. Diese Einblicke habe ich als sehr interessant empfunden, da ich selber keinerlei eigene Eindrücke habe und auch in der Schule nicht viel über diese Zeit Deutschlands vermittelt wird. An so mancher Stelle hat es mich ungläubig mit dem Kopf schütteln lassen und mich sprachlos gemacht, was damals insbesondere in der DDR mit den dort lebenden Menschen gemacht wurde. Wenn man nicht gänzlich angepasst war oder das Glück hatte nicht aufzufallen, musste man doch einjges in Kauf nehmen. Wie traurig, sich zwischen Familie und Liebe, Freiheit und Selbstaufgabe, entscheiden und stets Repressalien fürchten zu müssen. Eine Zeit, die es so nie wieder geben darf!

Der Erzählstil der Autorin war für mich anfangs eher gewöhnungsbedürftig. Ingke wird bei ihrer Suche nach Antworten von Person zu Person und von Geschichte zu Geschichte geschickt. Niemand erzählt ihr einfach direkt, was für sie so wichtig zu erfahren ist. Stattdessen werden Geschichten angedeutet und sie dann zum nächsten Familienmitglied geschickt, um sich diese dann von demjenigen erzählen zu lassen. Ich muss sagen, dass es mich irritiert hat: "Geh zu dem und dem und lass dir das und das erzählen. Ich hab dir auch gleich einen Termin gemacht." Auch die Protagonisten und einige Verhaltensweisen und Gedankengänge habe ich als etwas gewöhnungsbedürftig und weltfremd empfunden. Rosa, so etwas wie die Cousine von Ingke, beispielsweise ist zwar durchaus sympathisch, aber sie scheint sich eine ganz eigene Welt zu schaffen und dabei einiges einfach auszublenden. Sie schafft sich ihre ganz eigene Realität. Doch auch wenn ich von einigen Gedankengängen und Dialogen irritiert war, erschien es mir andererseits insgesamt durchaus realistisch. Welche reale Familie würde schon perfekte Dialoge führen und immer gut reagieren? Gerade diese fehlende Stringenz macht eine gewisse Authentizität und Lebensnähe aus.

Dennoch haben die häufigen Sprünge zwischen den Personen mit denen Ingke spricht und den damit verbundenen Rückblicken in verschiedene Zeiten und Orte leider eine gewisse Distanz geschaffen. Während des Lesens musste ich mich jedes Mal neu orientieren und sehr konzentriert bleiben, um die diversen Personen und Zeiten zuordnen zu können. Zusätzlich erschwert wurde die Orientierung dadurch, dass an mehreren Stellen die Namen der Protagonisten verwechselt wurden. Dadurch war es mir nicht möglich, zu den Protagonisten eine emotionale Bindung aufzubauen und mich als Teil der Handlung zu fühlen. Ich habe den Roman als ein spannendes Zeitportrait rund um eine familiäre Rahmenhandlung erlebt. Und als solches hat mir das Buch auch durchaus gefallen.

"Geteilte Träume" von Ulla Mothes ist ein durchaus gelungener Debütroman mit leichten Schwächen, der spannende Einblicke in das Leben im geteilten Deutschland gibt. Insgesamt kann ich eine Leseempfehlung aussprechen, möchte jedoch gern deutlich machen, dass es eine eher sachlich und weniger emotional spannende Handlung gibt.

Kommentare

lynas_lesezeit korrigierte am 30. März 2021 um 07:04

"Auch wenn meine Kinderwelt zusammengebrochen ist, [...] meine Erwachsenenwelt muss ich mir sowieso selbst aufbauen, und die gehört mir allein."

Kurz vor dem Abitur erfährt Ingke - Hauptprotagonistin in "Geteilte Träume" von Ulla Mothes - dass sie adoptiert ist. Damit verliert sie abrupt ihre kindliche Unbefangenheit und weiß zunächst nicht mehr so recht, wer sie ist und wem sie noch trauen kann. Um wieder zu sich selbst zu finden, begibt sie sich auf die Suche nach ihren Wurzeln.

Diese Handlung ist nicht gänzlich neu und wurde schon in einige Romanen aufgegriffen. Was diesen Roman jedoch besonders macht, ist die zugrundeliegende Geschichte des geteilten Deutschlands. Denn Ingke lernt nach und nach ihre Ursprungs-Familie kennen, die im Westen gelebt hat. Und so erfährt man beim Lesen nicht nur Ingkes Geschichte und die ihrer beiden Familien - der leiblichen und der Adoptiv-Familie - sondern auch einiges über das Leben in den beiden Teilen Deutschlands. Diese Einblicke habe ich als sehr interessant empfunden, da ich selber keinerlei eigene Eindrücke habe und auch in der Schule nicht viel über diese Zeit Deutschlands vermittelt wird. An so mancher Stelle hat es mich ungläubig mit dem Kopf schütteln lassen und mich sprachlos gemacht, was damals insbesondere in der DDR mit den dort lebenden Menschen gemacht wurde. Wenn man nicht gänzlich angepasst war oder das Glück hatte nicht aufzufallen, musste man doch einjges in Kauf nehmen. Wie traurig, sich zwischen Familie und Liebe, Freiheit und Selbstaufgabe, entscheiden und stets Repressalien fürchten zu müssen. Eine Zeit, die es so nie wieder geben darf!

Der Erzählstil der Autorin war für mich anfangs eher gewöhnungsbedürftig. Ingke wird bei ihrer Suche nach Antworten von Person zu Person und von Geschichte zu Geschichte geschickt. Niemand erzählt ihr einfach direkt, was für sie so wichtig zu erfahren ist. Stattdessen werden Geschichten angedeutet und sie dann zum nächsten Familienmitglied geschickt, um sich diese dann von demjenigen erzählen zu lassen. Ich muss sagen, dass es mich irritiert hat: "Geh zu dem und dem und lass dir das und das erzählen. Ich hab dir auch gleich einen Termin gemacht." Auch die Protagonisten und einige Verhaltensweisen und Gedankengänge habe ich als etwas gewöhnungsbedürftig und weltfremd empfunden. Rosa, so etwas wie die Cousine von Ingke, beispielsweise ist zwar durchaus sympathisch, aber sie scheint sich eine ganz eigene Welt zu schaffen und dabei einiges einfach auszublenden. Sie schafft sich ihre ganz eigene Realität. Doch auch wenn ich von einigen Gedankengängen und Dialogen irritiert war, erschien es mir andererseits insgesamt durchaus realistisch. Welche reale Familie würde schon perfekte Dialoge führen und immer gut reagieren? Gerade diese fehlende Stringenz macht eine gewisse Authentizität und Lebensnähe aus.

Dennoch haben die häufigen Sprünge zwischen den Personen mit denen Ingke spricht und den damit verbundenen Rückblicken in verschiedene Zeiten und Orte leider eine gewisse Distanz geschaffen. Während des Lesens musste ich mich jedes Mal neu orientieren und sehr konzentriert bleiben, um die diversen Personen und Zeiten zuordnen zu können. Zusätzlich erschwert wurde die Orientierung dadurch, dass an mehreren Stellen die Namen der Protagonisten verwechselt wurden. Dadurch war es mir nicht möglich, zu den Protagonisten eine emotionale Bindung aufzubauen und mich als Teil der Handlung zu fühlen. Ich habe den Roman als ein spannendes Zeitportrait rund um eine familiäre Rahmenhandlung erlebt. Und als solches hat mir das Buch auch durchaus gefallen.

"Geteilte Träume" von Ulla Mothes ist ein durchaus gelungener Debütroman mit leichten Schwächen, der spannende Einblicke in das Leben im geteilten Deutschland gibt. Insgesamt kann ich eine Leseempfehlung aussprechen, möchte jedoch gern deutlich machen, dass es eine eher sachlich und weniger emotional spannende Handlung gibt.