Rezension

Sehr blutig, aber faszinierend und sehr informativ

Der Horror der frühen Medizin - Lindsey Fitzharris

Der Horror der frühen Medizin
von Lindsey Fitzharris

Bewertet mit 5 Sternen

»Der fleckige Holztisch in der Mitte war übersät mit den Spuren früherer Schlachtorgien. Sägespäne auf dem Boden sollten das Blut aufsaugen, das in Kürze aus dem abgetrennten Bein strömen würde. Meistens übertönten die grauenhaften Schmerzensschreie der wehrlosen Patienten die hereindringenden Straßengeräusche: Kinderlachen, Passantengespräche, vorbeirumpelnde Kutschen.«

Krankheiten und Verletzungen sind nie angenehm. Aber wer heutzutage ins Krankenhaus muss, kann es in den meisten Fällen wieder gesund oder zumindest in einer besseren körperlichen Verfassung als zuvor verlassen. Das war nicht immer so. Es gab Zeiten, da war ein Krankenhausaufenthalt eine riskante Angelegenheit, Operationen waren lebensgefährlich und dazu noch unbeschreiblich schmerzhaft, da sie ohne Narkose durchgeführt wurden. Nach Möglichkeit wurden sie daher vermieden. Wer aber doch einen Eingriff durchleiden musste und ihn sogar überlebte, hatte es noch lange nicht geschafft, denn den meisten OPs folgten Infektionen, die enorm häufig zum Tode führten.

 

In diese grauenhafte Zeit, hier konkret ab den 1840er Jahren, reist der Leser dieses Buchs, das sich mit der Lebensgeschichte von Joseph Lister befasst. Dieser war Chirurg und gilt als Pionier in der Wundbehandlung. Durch ihn wurde die Chirurgie zu einer modernen Wissenschaft, doch bis dahin hatte er einen langen Kampf auszufechten.

 

Schon als Kind faszinierte Lister der Blick durchs Mikroskop. Der Wunsch, Menschen zu helfen, war entscheidend für die Berufswahl des jungen Quäkers. Lister wurde zu einem sehr begabten und engagierten Chirurgen, doch als er feststellen musste, wie viele seiner Patienten nach eigentlich geglückten OPs starben, fasste er als Ziel ins Auge, diesen schlimmen Zustand zu ändern. Seine Forschungen mit dem Mikroskop brachten ihn auf spektakuläre Gedanken…

 

Ich habe dieses Buch als zugleich höchst informativ und enorm spannend empfunden. Zu den beschriebenen Zuständen in den damaligen Krankenhäusern passt der Begriff „Horror“ wie kein anderer. So etwas wie Hygiene war nicht vorhanden, eher war das Gegenteil der Fall. Da liefen Chirurgen mit blutigen Kitteln, ungewaschenen Händen und unsauberen Instrumenten von einem Patienten zum anderen. Eiter hielt man für ein normales Zeichen der Heilung und der Gestank von verfaultem Fleisch wurde schlicht als »guter alter Krankenhausmief« bezeichnet. Aus heutiger Sicht wundert man sich da über gar nichts, aber in der Ärzteschaft herrschte damals große Uneinigkeit über das Entstehen von Krankheiten.

Selbst als Lister nach viel Herumexperimentieren mit Verbesserung der Sauberkeit und ersten Desinfektionsmaßnahmen anfing, Erfolge zu erzielen, schlug ihm noch viel Ablehnung entgegen, wurden seine Ideen als Hirngespinste abgetan. Doch Lister kämpfte für seine Ideen, wie wir heute wissen mit Erfolg und zum Glück für die Menschheit.

All das ist faszinierend zu lesen, allerdings wird es oft sehr blutig und grauslich, was für empfindliche Leser unangenehm werden könnte.

 

Fazit: Sehr blutig, aber faszinierend und sehr informativ. Ein Ausflug in eine wahrhaft düstere Zeit und der beeindruckende Kampf eines engagierten Mannes.

 

»Da fast jede Wunde übelriechenden Eiter absonderte, hielten wir es damals für ganz selbstverständlich, mit der gründlichen Reinigung von Händen und Instrumenten abzuwarten, bis alle Wunden untersucht und alle Verbände gewechselt waren.«