Rezension

Spurensuche nach Sinn zwischen Glauben und Wissenschaft

Ein erhabenes Königreich -

Ein erhabenes Königreich
von Yaa Gyasi

Bewertet mit 5 Sternen

Ode an die menschliche Komplexität - großartig mit einer Familiengeschichte rund um seelische Gesundheit, Rassismus und Verlust verwoben.

"Wie trösten wir uns und die, die wir lieben?", so ist der Buchrücken von Yaa Gyasis "Ein erhabenes Königreich" überschrieben. Diese Frage ist vielleicht gleichzeitig die kürzestmögliche Inhaltsangabe des Romans. Angesichts von sinnlosem Leid - wo suchen wir nach Halt, nach einer Antwort? Wie die Autorin diese Spurensuche nach Sinn in eine Familiengeschichte rund um seelische Gesundheit, strukturellen Rassismus und Verlust einwebt, ist ein wahres Kunststück.

 

Gifty wächst in einer Pfingstgemeinde in Alabama auf, als Kind sind ihre Versuche, sich die Welt zu erklären, getragen von einem tiefen Glauben. Doch diese Welt gerät ins Wanken, als zunächst ihr Vater die Familie verlässt, um zurück in sein Heimatland Ghana zu gehen, und dann ihr Bruder Nana an einer Überdosis stirbt. Das Leben von Gifty und ihrer Mutter ist nun vor allem durch den Verlust geprägt, durch das tägliche Fehlen von Zweien, die einmal Vier waren. Giftys Mutter erkrankt an einer Depression und nach der Abhängigkeit ihres Bruders ist es wieder die menschliche Psyche, die Giftys Welt verdunkelt.

 

Viele Jahre später ist Gifty eine erfolgreiche Neurowissenschaftlerin. Ihre Forschung widmet sie der Frage nach belohnungssuchendem Verhalten und kann sich dabei selbst kaum eingestehen, dass sie nun auf wissenschaftlichem Weg versucht, Antworten auf die Fragen ihrer Kindheit zu finden und dabei doch nur das "Wie" erklären kann, nicht das "Warum". Ihren Glauben hat sie dabei nahezu verloren und kann im Rückblick immer klarer sehen, wie auch die (überwiegend weiße) Glaubensgemeinschaft von strukturellem Rassismus und Ausgrenzung geprägt war. Als ihre tief gläubige Mutter abermals an Depression erkrankt muss sie sich erneut mit der Frage auseinander setzen, wo Trost zu suchen ist, im Glauben oder in der Wissenschaft.

 

Während Heimkehren für mich ein Buch für's Herz war, ist dies hier ein Buch für Kopf und Geist. Mein Einstieg in das Buch war zäh, das Kennenlernen von Gifty holprig. Denn Gifty lässt Menschen nicht allzu nah an sich heran, fast scheint es als hätte sie die engsten Kontakte zu ihren Mäusen, an denen sie forscht. Und doch, man kann sich in die Gedankenwelt Giftys einlesen und findet dort scheinbar gegensätzliche Positionen in einem ständigen, klugen Widerstreit. Yaa Gyasi beschreibt hier nüchtern, unsentimental und doch eindrücklich. Gekonnt nimmt sie verschiedene Fäden auf: die Mehrdeutigkeit der wissenschaftlichen Experimente, der Schmerz des Verlustes, die Scham, die schwierige Mutter-Tochter-Beziehung, familiäre Loyalitäten, Giftys kindliche Gebete, alles wird sanft miteinander verwoben oder - um im Bild zu bleiben - neuronal verknüpft. Das Ergebnis ist keine Reduktion der Komplexität, sondern vielmehr eine bewusste Auseinandersetzung damit. Ein Buch auf den Punkt gebracht in einer Frage, nicht in einer Aussage, auch das passt.