Rezension

Glaube und Wissenschaft

Ein erhabenes Königreich -

Ein erhabenes Königreich
von Yaa Gyasi

Bewertet mit 4 Sternen

 

Im Mittelpunkt von Yaa Gyasis neuem Roman „Ein erhabenes Königreich“ steht Gifty, 28, deren Eltern aus Ghana in die USA eingewandert sind. Sie leben in Huntsville, Alabama. Der Vater kehrt nach wenigen Jahren nach Ghana zurück. Die alleinerziehende Mutter des Sohnes Nana und der kleinen Tochter Gifty arbeitet als Altenpflegerin. In der Erzählgegenwart steht Gifty kurz vor dem Abschluss ihrer neurowissenschaftlichen Studien. Sie führt im Labor Experimente mit Mäusen durch, die sie süchtig macht, um dann durch Eingriffe in ihr Gehirn herauszufinden, ob sie dem Streben nach Belohnung widerstehen können und zu Selbstbeherrschung und damit zur Überwindung ihrer Sucht fähig sind. Es ist ein sehr schwieriges Forschungsgebiet, aber wenn die Ergebnisse auf den Menschen übertragbar sind, könnte es sehr wichtig werden.

Erzählt wird in nicht-chronologischer Darstellung ausschließlich aus Giftys Perspektive. Es gibt Szenen aus ihrer Kindheit, aber vor allem immer wieder die traumatischen Erfahrungen der Familie. Der geliebte ältere Bruder Nana, ein begabter Sportler, wurde nach einer Sportverletzung mit einem gängigen Opioid behandelt und starb mit 16 an einer Überdosis Heroin, die Mutter hat schwere Depressionen, zum ersten Mal nach dem Tod des Sohnes, dann noch einmal, als Gifty 28 Jahre alt ist. Der Pfarrer ihrer Gemeinde schickt die Mutter zu Gifty nach Kalifornien, wo sie kaum isst und nicht mehr aus dem Bett aufsteht.

Es geht in dem Roman jedoch nicht nur um diese familiäre Katastrophe. Die Mutter ist sehr gläubig und hat ihre Kinder entsprechend erzogen. Gifty hat nach dem Tod des Bruders ihren Glauben verloren. Sie stellt sich immer wieder die Frage, ob sie sich für eins von beiden entscheiden muss: Glaube oder Wissenschaft und kommt zu dem Schluss, dass weder das eine noch das andere die Lösung ist.

Ein weiteres wichtiges Thema neben Sucht und Armut ist der allgegenwärtige Rassismus. Die Mutter muss sich von einem Patienten über Jahre als Nigger beschimpfen lassen, und die ach so frommen Gemeindemitglieder äußern sich in Hörweite über die Affinität „dieser Leute“ zu Sucht und Verbrechen. Gifty beschäftigt sich nicht nur mit der Frage, wie ein liebender Gott die Qualen ihres Bruders zulassen konnte, sondern auch, wie eine Nation, die in ihrer Verfassung Gleichheit garantiert, ein solches Ausmaß an Ungleichbehandlung zulassen kann, außerdem, wie die pharmazeutische Industrie ein angeblich harmloses Schmerzmittel wie Oxycodon - auch unter dem Namen Oxycontin berühmt und berüchtigt - auf den Markt bringen konnte, das Millionen von Amerikanern süchtig gemacht hat. Für Gifty ist es ein sehr weiter Weg, bis sie sich aus Einsamkeit und Isolation befreien und ein normales Sozialleben haben kann.

Gyasis neues Buch ist völlig anders als ihr Debüt “Heimkehren“. Der hervorragende Roman bietet anspruchsvolle, lohnende Lektüre.