Rezension

Stark erzählte Familiengeschichte

Bei euch ist es immer so unheimlich still -

Bei euch ist es immer so unheimlich still
von Alena Schröder

Wir schreiben das Jahr 1989, kurz vor der Wende in Berlin verlässt Silvia Borowski mit ihrer nur wenige Wochen alten Tochter Hannah Berlin in Richtung ihrer Heimat, ins schwäbische Dörfchen Ildingen. Viele Jahre ist es her, dass sie Hals über Kopf fortging und sie hat keine Ahnung, wie ihre Mutter Evelyn auf sie reagieren wird. Diese jedoch nimmt Silvia und Hannah einfach auf, ohne groß Fragen zu stellen. Denn seit dem Tod ihres Mannes Karl ist Evelyn einsam. Denn auch wenn sie seit den fünfziger Jahren hier lebt, gilt sie immer noch als Hinzugezogene.
Bei euch ist es immer so unheimlich still ist ein Familienroman, der aus wechselnden Perspektiven zwischen Mutter Evelyn und Tochter Silvia Borowski auf zwei Zeitebenen erzählt wird. Im Nachhinein habe ich erfahren, dass diese Geschichte im Bezug zu Alena Schröders erstem Buch – Junge Frau am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid, steht. Allerdings kann man die Bücher auch unabhängig voneinander lesen.
Der Einstieg in den Roman fällt leicht, denn Alena Schröder hat einen absolut flüssigen Schreibstil, dabei gelingt es ihr sehr gut Gefühle zu transportieren, ohne viel zu schreiben oder zu sagen. Der Titel des Buches ist hier nämlich Programm, denn den Charakteren fällt es so unheimlich schwer, miteinander über wichtige Themen zu sprechen. Oft hat man den Eindruck, sie leben stoisch nebeneinander her, dabei hätten sie sich unheimlich viel zu sagen.
Was mir besonders gut gefallen hat, sind die zwei Zeitebenen, denn die Vergangenheit lässt in der Gegenwart so manches verständlicher erscheinen. Evelyn stammt aus dem Osten und ist nach Baden-Württemberg gezogen und lernt hier Karl, den Bruder ihrer Freundin Betti kennen. Genauso wie Evelyn studiert er Medizin, doch als Tochter Silvia geboren wird, bleibt Evelyn zu Hause. Doch die Hausfrau und Mutterrolle fällt ihr schwer und die kleine Silvia kann es ihr nie rechtmachen und leider zeigt sie ihr das auch. Kein Wunder also, dass Silvia gleich die erste Gelegenheit ausnutzt, um fortzulaufen und den Kontakt über viele Jahre weitestgehend abzubrechen.
Doch auch wenn Evelyn auf den ersten Blick kalt und hartherzig wirkt, steckt auch hinter ihrer Geschichte mehr. Beide Frauen müssen lernen, aufeinander zuzugehen, sich gegenseitig Fehler einzugestehen und ein Gespräch zu suchen. Natürlich gestaltet sich das nicht immer als leicht und es dauert eine ganze Weile, bis sie sich annähern, aber die Autorin bringt all das so gut rüber, dass man wirklich die Handlungen ihrer Charaktere nachempfinden kann.
Die Geschichte lebt allerdings nicht nur von den Protagonistinnen, sondern auch von den Nebencharakteren, die ebenfalls nötigen Raum erhalten und klar vorstellbar werden. So hat man das Gefühl, Nachbarssohn Rüdiger mit seinem Walkman in der Werkstatt zu beobachten oder Monika im roten Minikleid auf der Tanzfläche stehen zu sehen. Man hat hier durchaus das Gefühl, dass man den kleinen Ort Ildingen mit all seinen Bewohnern direkt vor sich sieht. Spannend ist hier auch, die Darstellung rund um das Gerede im Ort, dem einen ist es egal, der andere versucht alles, um nach außen perfekt zu wirken. Ganz genau so ist es halt auch einfach im wahren Leben.
Was mir übrigens richtig gut gefallen hat, war nicht nur die Atmosphäre des Ortes, sondern auch die kleinen Anmerkungen der Autorin bezüglich Fernsehsendungen oder Musik aus der Zeit. Dadurch wurde das Geschehen einfach nochmal lebendiger.
Mein Fazit: bei diesem Buch ist der Titel einfach Programm, denn Alena Schröder gelingt es unheimlich gut, ihre Charaktere ins rechte Licht zu setzen. Man spürt die Probleme der einzelnen und kann sie einfach nachvollziehen. Sie trifft nicht nur den Zeitgeist der Geschichte, sondern schafft auch eine besondere Atmosphäre. Ein toller Familienroman, der absolut lesenswert ist.