Rezension

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Kollisionen - Florian Scheibe

Kollisionen
von Florian Scheibe

Bewertet mit 5 Sternen

Kollisionen

Von Florian Scheibe

 

Der Roman „Kollisionen“ vom Autor Florian Scheibe ist am 27.08.2016 im Verlag Klett-Cotta erschienen.  

Carina, ihres Zeichens Architektin mit lang unerfülltem Kinderwunsch, fährt mit Ihrem Fahrrad die 16-jährige drogensüchtige, ungewollt schwangere, Punkerin Mona an.

Der Unfall verläuft für beide glimpflich, doch ihre beiden Lebenswege scheinen danach untrennbar verknüpft zu sein.  

Inhalt und Meinung:

Das Cover zeichnet eine junge, auf einem Fensterbrett an offenem Fenster sitzende, Frau in dunklen Tönen ab. Im Hintergrund sieht man die Hausfassade eines Patrizierhauses in hellerem weiß.

Betrachtet man das Cover, ohne den Inhalt des Buches zu kennen, erscheint es düster und man fragt sich, was die junge Frau wohl hat. Mit dem Wissen des Inhaltes des Buches, kann man das Cover gut interpretieren. Die junge Frau stellt Mona dar, die im „Schatten“ lebt und am Abgrund sitzt (durch das offene Fenster). Im schönen Patrizierhaus gegenüber könnten Carina und ihr Lebensgefährte Tom (Thomas) mit der Dogge Bennie wohnen. Es prallen Welten aufeinander. Noch schöner wäre es gewesen, wenn man in einem Fenster des Patrizierhauses eine Silhouette einer Frau erahnen könnte. Diese hätte ich dann als Carina gesehen, die ein Auge auf Mona hat. Zwar mit Abstand, aber auf Sichtweite.

Der Roman ist in fünf Teile gegliedert:

1.Zusammenprall

2.Zwietracht

3.Zwist

4.Zerwürfnis

5.Aufprall

Jeder einzelne Teil ist in einer unterschiedlichen Anzahl von Kapiteln unterteilt.

In Teil eins, „Zusammenprall“, kommt es wie der Titel dieses Teiles schon sagt zum Zusammenprall, oder der Kollision, zwischen Carina und Mona.

Mona ist vollkommen weggetreten, nicht durch den Unfall, sondern durch das ihr zuvor selbst verabreichte Heroin. Carina, deren Kinderwunsch seit jeher unerfüllt ist, sieht das Mona schwanger ist und schlägt diese. Mona versteht in ihrem Rausch überhaupt nicht warum und bezeichnet Carina daraufhin durch das ganze Buch durch, als die „verrückte Frau“.

Auffällig ist, dass der Roman sehr detailreich geschrieben wurde, wie z.B. auf Seite 38 / 39: „ Die zerissenen Bücher lagen neben ihr auf dem Boden. Alle zwei, drei Minuten öffnete sie die Klappe und warf einen Packen neues Material nach. Die Flammen flackerten hellorange, und ihr züngelnder Tanz war viel nervöser, als wenn man Holzscheite verbrannte. Es erstaunte Carina, wie lange es dauerte, bis sich das Feuer durch die Leineneinbände genagt hatte, während sich die Lesebändchen sofort willfährig zu kleinen Ascheklumpen zusammenrollten.“

Der Autor arbeitet hier mit sehr ausdrucksstarken Adjektiven, was mir sehr gut gefällt.

Man kann sich ebenfalls sehr gut in die Lage der einzelnen Protagonisten versetzen und wird in einer Weise Teil von Ihnen.

Sehr auffällig sind auch die oft vorkommenden Wortwiederholungen, wie: „Gehwegplatte“, „Kreuz“ und „Schwanger“. Ich vermute das hiermit die Gewichtigkeit des Wortes noch verdeutlicht werden soll.

Im Laufe des ersten Teiles lernt der Leser neben Carina und Mona, auch noch Carinas Lebensgefährten Tom, oder Thomas wie er richtig heißt, und ihren Hund Bennie kennen.

Tom schreibt Kolumnen in einer Zeitung und steht kurz vor der Verfassung seiner 100. Kolumne.

Carina und Tom leben mit Bennie in einer Dachgeschosswohnung direkt vor einem Park an einer Hochbahn. Dieser Park ist mit den Jahren zunehmend zum Drogenumschlagplatz mutiert und Mona nicht unbekannt, da Sie unter der Hochbahn am Park ihren Tag mit betteln für den nächsten Schuss verbringt.

Die Kapitel innerhalb der Teile oder Teile der Kapitel sind immer aus der Sicht der Protagonisten geschrieben und nicht beispielsweise nur aus der Sicht Carinas.

So bekommt man eine gute Einsicht in die Gedankenwelt aller wichtigen Hauptprotagonisten und kann ihren Handlungen gut folgen.

Im Verlauf des ersten Teiles trifft Carina, während eines Spazierganges im Park mit Bennie, auf Mona, welche vor der „verrückten Frau“ flüchtet.

Carina hetzt hinter Mona her um sie noch zu erwischen. Bennie blieb wo er war und nimmt, leider Gottes, Drogen im Gebüsch zu sich, wird regelrecht tollwütig, erkennt Carina bei ihrer Rückkehr zu ihm nicht mehr, und fällt Carina an, bevor er leblos zusammenbricht.

Für mich eine sehr intensive Szene, da auch ich schon einmal von einem Hund angefallen wurde.

In Teil zwei „Zwietracht“ lernt der Leser Petr kennen. Petr ist, wie Mona, drogensüchtig und lebt auf der Straße. Er ist Rumäne uns spricht nur ein paar wenige Brocken deutsch.

Er ist der Vater des in Mona heranwachsenden Kindes und sehr erfreut, dass er Vater wird.

Um endlich schwanger zu werden, entschließt sich Carina dazu in eine Kinderwunsch-Klinik zu gehen. Tom gibt dazu Spermien ab, um zu testen, ob er als Spender tauglich ist, oder ob er unfruchtbar ist.

Als Carina wieder nach Hause kommt, nimmt sie sich die Urne von Bennie vom Kaminsims, öffnet diese und riecht am Inhalt. Einem Verlangen nach, steckt sie einen Finger hinein und lutscht danach an diesem.

So etwas Widerliches habe ich noch nie gelesen. Im weiteren Verlauf des Romans holt sich Carina immer wieder Asche aus der Urne und lutscht sie. Ich frage mich, was das soll?!

Auch diese Lust auf Fleisch von Carina ist immer wieder Thema. Im ersten Teil des Buches verleibt Sie sich einen Döner ein, als gäbe es kein Morgen, dabei ist sie eigentlich Vegetarierin.

Im weiteren Verlauf des zweiten Teiles entschließt sich Mona dazu sich einen goldenen Schuss zu setzen. Dazu braucht sie jedoch Geld und stellt sich daher an den Kinderstrich vor einen Sex-Shop. Aus diesem kommt ein Mann heraus, welcher ihr Geld gibt mit der Bedingung, dass sie von dort verschwindet und nicht wiederkommt. Sie nimmt das Geld und macht sich von dannen.

Hier hatte ich den Eindruck, dass es sich um irgendeinen Typen handelt, doch es stellt sich heraus, dass es sich um Tom handelt, der da aus dem Sex-Shop kam.

Tom recherchierte dort für seine Kolumne, weil er nicht wusste, worüber er schreiben soll.

Auch hier kommt es zu der zufälligen Kollision zwischen Mona und in diesem Fall Tom. Man könnte meinen die Stadt in der die Protagonisten leben sei ein Dorf.

Während Tom den Sex-Shop verlässt und Mona Geld gibt, wird er von der Volontärin seiner Zeitung, namens Soph,  dabei beobachtet. Am folgenden Tag trifft er im Kopierraum nach Feierabend auf sie und es kommt zum Techtelmechtel.

Der dritte Teil „Zwist“ beginnt damit, dass sich Carina Embryonen einsetzen lässt. Tom möchte unbedingt dabei sein und Carina zur Seite stehen, steht aber selber im Stau. Kurzentschlossen lässt er sein Fahrzeug einfach stehen, rennt quer durch die Straßen, rennt weiter quer durch ein Filmset und bricht einem dortigen Mitarbeiter, der Tom versucht aufzuhalten, die Nase. Total aufgewühlt und dreckig durch einen Sturz kommt er in der Klinik an.

Mona ihrerseits mittlerweile in einer Enzugsklinik angekommen, weil Sie sich den goldenen Schuss gesetzt hatte, aber gerettet werden konnte, versucht sich dort einzuleben, was ihr jedoch nur bedingt gelingt.

In seiner nächsten Kolumne identifiziert er sich selbst als den, der durch das Set gelaufen ist und den Mitarbeiter niedergeschlagen hat. Schnell bekommt die Filmfirma davon Wind, wer er ist und schreibt Toms Chefin. Diese teilt ihm mit, dass die Filmfirma von einer Anklage absieht, wenn er 15.000€ Schadensersatz zahlen würde.

Total aufgewühlt von dieser Nachricht und dem Tag, schnappt sich Tom Soph und schläft mit Ihr nach Feierabend im Büro. Dabei erfährt der Leser, dass es beim ersten Mal zu garkeinem Geschlechtsverkehr gekommen war, da Tom nicht konnte.

Es kommt wie es kommen muss und Carina kommt in die Redaktion und sieht die Beiden.

Carina flüchtet durch das Haus in ihren Wagen, übersieht den ihr nachgelaufenen Tom und überfährt ihn.

Der Titel des vierten Teiles „Zerwürfnis“ betitelt exakt das, wozu es kommt: zum Zerwürfnis.

Teil vier beginnt im Krankenhaus, nachdem Carina Tom angefahren hat. Carina trifft dort auf Mona, welche zuvor ebenfalls eingeliefert wurde, da Sie blutet. Mona wird nach einem kurzen Gespräch klar, was die „verrückte Frau“ für ein Problem hat: sie kann keine Kinder bekommen und Mona, die nie schwanger werden wollte, ist es geworden.

Nach einigen Wochen, nachdem Tom aus dem Krankenhaus entlassen wurde, will er noch einmal Spermien abgeben, die der wartenden Carina direkt eingesetzt werden sollen.

Doch es klappt nicht, so sehr sich Tom auch anstrengt. Konfrontiert mit seinem Versagen geht er zu Carina und sagt es ihr. Diese ist sehr erbost und macht Tom Vorwürfe, das es zuvor bei der Volontärin ja noch prima geklappt hätte. Die Situation eskaliert dermaßen, dass von den Krankenschwestern die Security gerufen werden muss und Tom aus dem Haus entfernt wird.

Als Carina später nach Hause kommt, ist Tom ausgezogen.

Um sich selbst zu trösten, nimmt sie sich abermals die Urne von Bennie und löffelt sich seine Asche in den Mund.

Und ich komme nicht umhin noch einmal zu erwähnen WIE ekelhaft dies ist.

Ein auf den anderen Tag kommt ein Filmteam zu Carina in die Wohnung, mit der Bitte diese über das Viertel und die Drogensituation im Park interviewen zu dürfen. Sie willigt ein und gibt ein Interview.

Derweil findet in der Entzugsklinik, in der sich Mona befindet, ein Fest statt. Ihre Eltern kommen auch dorthin und konfrontieren Mona damit, dass sie das Sorgerecht für das noch ungeborene Kind übernehmen wollen. Dies versetzt Mona dermaßen in Rage, dass sie die Psychologin, die ihre Eltern zu diesem Schritt noch ermunterte, attackiert. Mona, von Sinnen, flüchtet aus der Klinik und macht sich auf zu Petr.

Petr wiederum hat das Interview von Carina im Internet gesehen und erfährt darin, dass Carina eine alte leerstehende Brauerei zu Lofts umwandeln will und noch Interessenten sucht. In diese Brauerei brechen Petr, Mona und einige Freunde ein, um dort zu nächtigen. Als noch weitere Hausbesetzer dazu kommen, eskaliert die Lage und die Polizei rückt an. Mona kann sich mit Petr in dem Tohuwabohu herausschleichen und beobachtet das Ganze aus der Entfernung. Die Brauerei wird letztlich von den Besetzern in Brand gesteckt.

Tom, dessen Kolumne eingestellt wird, weil sie nicht mehr zeitgemäß erscheint, kündigt bedingt durch eine Kurzschlussreaktion, bei der Zeitung. Eines Abends lauert er Soph auf, um sie zur Rede zu stellen, da sie jetzt die neue zeitgemäßere Kolumne schreiben soll und er vermutet, dass sie dies eigentlich die ganze Zeit im Sinn hatte. Dabei erfährt er unter anderem von der besetzten Brauerei und dem Polizeieinsatz. Aufgeschreckt durch diese Nachricht macht er sich direkt auf zur aufgewühlten Carina.

Sie versöhnen sich wieder und Tom zieht wieder ein.

Der finale Teil fünf hat den Titel „Aufprall“.

Carina und Tom beschließen ins Ausland zu gehen und verkaufen ihre Wohnung, viele ihrer Sachen und den Rest lagern sie ein.

Mona bringt einen kleinen Jungen zur Welt in der Wohnung einer rumänischen Familie, zu der sie Petr gebracht hatte.

Mona, seit einigen Wochen clean, beschließt den Jungen wegzugeben und mit Petr nach Rumänien zu gehen. Vor der Geburt hatten sie gewettet, ob das Kind ein Junge oder Mädchen werden wird und Petr hatte gesagt, würde es ein Junge werden, würden die Beiden nach Rumänien gehen. Er hatte Recht.

Mona und Petr bringen den kleinen Jungen noch in derselben Nacht der Geburt zu Carina, die völlig überrumpelt aus dem Bett geklingelt wird.

Sie nimmt den Kleinen an sich und Mona und Petr verlassen die Wohnung.

Schnell beschließt Carina das sie den Kleinen nicht behalten kann und bringt ihn ins Krankenhaus zur Babyklappe. Dort versichert man ihr, dass sie sich dort gut um den Kleinen kümmern und dass sie für ihn eine gute Familie finden werden. Carina verrät nicht, wer den Jungen gebar, da Mona sie darum bat, aus Angst ihre Eltern würden sich des Kleinen annehmen.

Im Laufe des folgenden Tages geht Carina mit Bennies Urne in den Park und verstreut ihn an dem Busch, an dem Bennie damals die Drogen zu sich genommen hatte. Die Urne lässt sie dort auf einer Mauer stehen und geht wieder in die Wohnung, um alsbald mit Tom in eine neue Zukunft aufzubrechen.

Auch Petr und Mona brechen in eine neue Zukunft auf in Richtung Rumänien.

Wie das Schicksal es will, wären sich Carina, Tom, Petr und Mona beinahe an einem Rastplatz wieder in die Arme gelaufen. Petr und Mona suchen nach einer Mitfahrgelegenheit und Carina und Tom fahren an ihnen vorbei. Tom hält nur nicht an, weil es Carina sehr schlecht geht.

Na, warum ist ihr wohl schlecht? Richtig! Sie ist schwanger!

 

Meine Ausführungen gehen nicht annährend in die Tiefe, wie der Roman es an sich geht. Faszinierend finde ich, wie zwei grundlegend verschiedene Lebensweisen, doch so nah aneinander vorbei gehen und gleichzeitig miteinander verwoben werden können. Alle Handlungen machen letztlich einen Sinn, die vielleicht allein betrachtet dies nicht tun. Und Zufälle gibt’s in diesem Roman, das ist der Wahnsinn. So ein Zufall, dass Carina gerade Mona anfährt, die auch noch ungewollt schwanger ist, was Carina lange verwehrt bleibt.

Oder das Bennie ausgerechnet an irgendwelchen Drogen stirbt, die im Park herumliegen und Mona wiederum will mit Hilfe von einer Überdosis sterben, stirbt aber nicht.

An der „Figur“ von Tom liest sich sehr gut ab, wie psychisch anstrengend es ist, den eigenen Kinderwunsch oder den der Frau / Lebensgefährtin nicht erfüllen zu können. Tom ist zuweilen mit den Nerven am Ende und verhält sich so, wie nie zuvor. Carina wünscht sich zwar auch Kinder und nagt daran, dass sie keine bekommt, sie finde ich jedoch nicht so ausdrucksstark wie Tom.

Der Roman liest sich sehr flüssig und ich als Leserin wollte immer sehr gerne wissen, wie es weitergeht.

Auch die Titelwahl der einzelnen Teile finde ich sehr gut gewählt. Ich habe den Eindruck, dass die ersten vier Teile sich dem Ende hin immer weiter steigern, bis es letztlich zu dem großen Urknall „Aufprall“ kommt, der der Beginn von etwas Neuem ist.

Zu gerne hätte ich am Ende noch gewusst, wie es dem kleinen Jungen weiterhin erging? Hat er gute Eltern gefunden? Oder wäre er zufällig von Monas Eltern adoptiert worden, weil diese sich noch ein Kind wünschten? Dies wäre der absolute Höhepunkt gewesen.

Ich muss hier am Ende meiner Ausführungen noch einmal deutlich sagen, dass es absolut widerlich war Carina die Asche des Hundes essen zu lassen.

Auch wenn ich dies echt widerwärtig finde, vergebe ich 5 von möglichen 5 Punkten.