Rezension

Traum und Welt, Phantasie und Realität

Die Stadt und ihre ungewisse Mauer -

Die Stadt und ihre ungewisse Mauer
von Haruki Murakami

Bewertet mit 5 Sternen

Bei einem Schreibwettbewerb lernt der Protagonist ein Mädchen kennen. Mit diesem hält er auch nach dem Wettbewerb Briefkontakt, Briefe, in denen sie ihm offenbart, dass ihr wahres Ich in einer ummauerten Stadt lebt, in der es eine Bibliothek mit alten Träumen gibt, und sie nur ein Schatten ihres Ichs in der Stadt ist. Er verliebt sich in das Mädchen, erwartet sehnsüchtig ihre Briefe. Die beiden treffen sich sogar ein Mal, doch bald darauf erhält er keine Briefe mehr von ihr. Seines Kontakts mit ihr beraubt, macht sich der Junge auf in die Stadt, an deren Mauer er seinen Schatten zurücklassen muss. In der Bibliothek trifft er sie wieder, doch sie erinnert sich nicht an ihn und es ist, als seien sie einander nie begegnet. Ohne die frühere Verbindung kommt ihm die Gesellschaft des Mädchens seltsam substanzlos vor, obwohl er gerne in ihrer Nähe ist. Das Mitleid mit seinem Schatten, der ohne ihn zu sterben droht, veranlasst ihn dazu in seine Welt zurückzukehren und das Mädchen in der ummauerten Stadt zurückzulassen.
Daraufhin führt er ein durchschnittliches Leben ohne große Höhen und Tiefen. Die Liebschaften, die er über die Jahre hat, erreichen sein Herz nie im selben Maße wie das Mädchen, das er mit 17 kannte. Seinem Beruf als Buchhändler in der Stadt kehrt er den Rücken, um abgeschieden in den Bergen eine kleine Bücherei zu leiten. Dort hofft er, der ummauerten Stadt mit seiner Bibliothek und dem Mädchen darin wieder nahe kommen zu können.

Traum und Welt, Phantasie und Realität vermischen sich in diesem typisch surrealen Roman von Murakami. Der Raum zwischen den Seiten ist von einer stets präsenten Einsamkeit erfüllt, der Suche des Protagonisten nach etwas lange Verlorenem. Dabei fließt die Geschichte leise, gemächlich und höchst atmosphärisch wie ein Bach vorüber.
Im Nachwort erläutert Murakami-san, dass er mit "Die Stadt und ihre ungewisse Mauer" gleichsam ebenfalls zurückkehren wollte, die an das 1985 erschienene "Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt" knüpft. Murakami wird zum Gleichnis seines Protagonisten und hat mit dem Rekurs ein philosophisches Kunststück vollbracht.