Rezension

Was du sein könntest

Alles Licht, das wir nicht sehen
von Anthony Doerr

Bewertet mit 5 Sternen

Es war einmal ein Diamant, groß wie ein Taubenei, bläulich mit einem roten Schimmer in der Mitte. Die Legende besagt, dass er seinem Besitzer das ewige Leben bringt, aber der Preis dafür ist hoch, denn über die Familie und Freunde wird großes Unglück hereinbrechen. Den Fluch kann man nur brechen, indem man den Stein ins Meer wirft. Würdest Du ihn ins Meer werden? Gibt es überhaupt Flüche?

Diese Geschichte hört Marie-Laure in dem Pariser Museum, in dem ihr Vater arbeitet. Sie begleitet ihren Vater jeden Tag zur Arbeit, denn sie sieht sehr schlecht und erblindet mit 6 Jahren komplett. Es sind die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts und wir lernen auch noch Werner kennen, ein Waisenkind mit schneeweißem Haar, der mit seiner Schwester Jutta in einem Kinderheim in Essen aufwächst und der aus Einzelteilen ein Radio bauen kann, ohne dass ihm das jemals jemand erklärt hätte.

Der Krieg kommt und beide Kinder werden aus ihrer vertrauten Umgebung gerissen. Marie-Laure flüchtet mit ihrem Vater nach St Malo, zu ihrem exzentrischen Onkel Etienne, der niemals das Haus verlässt. Werner kommt auf eine Eliteschule der Nazis, die seine technische Begabung entdeckt haben. Eines Tages sagt ein anderer Schüler zu Werner: „Was du sein könntest.“ Und er hat so recht damit: was diese Kinder sein könnten, wenn nicht grade Krieg wäre. Schließlich werden beide in den Krieg hineingezogen. Ob Sie überleben? Und welche Rolle spielt der verfluchte Diamant?

Dier Roman hat mich von der ersten Seite an gefesselt. Allein schon die Gestaltung des Covers ist so schön und passend. Ein richtiges Schmuckstück ist das Buch, es schimmert wie das Meer, an dem St Malo liegt.

Die Sprache ist sehr poetisch. Besonders schön ist es, wie der Autor beschreibt, was die blinde Marie-Laure vor ihrem inneren Auge sieht, wenn sie etwas riecht, fühlt oder hört. „Der Duft der Pfirsiche formt eine hellrote Wolke“  „Die Eier schmecken wie Wolken. Wie flüssiges Gold.“ „Seine Stimme ist tief und sanft, ein Stück Seide, das man in der Schublade aufbewahrt, nur um es von Zeit zu Zeit hervorzuholen und zu berühren.“

Der Aufbau des Buches ist ungewöhnlich, es sind sehr kurze Kapitel und die Perspektive und die Handlungszeit wechseln sehr oft. Dadurch wird aber eine unglaubliche Spannung aufgebaut, man rätselt und fiebert, bis am Ende endlich alle Puzzleteilchen an ihren Platz fallen.

Die Personen in diesem Buch sind wunderbar ausgearbeitet und sie sind wie im echten Leben: sie sind auf einem Gebiet besonders begabt, aber sie sind nicht perfekt. Sie haben Macken und sie treffen Entscheidungen, die vielleicht nicht immer die richtigen sind. Es ist eines dieser Bücher, bei denen man die Personen richtig lieb gewinnt. Und man ist ganz traurig, wenn man sich am Ende des Buches von Ihnen verabschieden muss.

Die poetische Sprache, die außergewöhnlichen Charaktere und die spannende Handlung machen dieses Buch zu etwas ganz besonderem. Ich wünsche dem Buch viele, viele Leser und mir wünsche ich, dass der Autor noch viele, viele weitere Bücher schreibt.

Kommentare

Naibenak kommentierte am 03. April 2015 um 18:20

Ganz tolle Rezension! Vielen Dank, ich werde dieses Buch auf meine WuLi setzen - bin sehr neugierig geworden :-)

TanyBee kommentierte am 17. Juli 2015 um 09:31

Vielen Dank für dein Lob :)