Rezension

Was man für Freiheit riskiert

Sami und der Wunsch nach Freiheit - Rafik Schami

Sami und der Wunsch nach Freiheit
von Rafik Schami

Bewertet mit 4 Sternen

Die unglaubliche Geschichte von Sami und seinem abenteuerlichen Leben in den Gassen von Damaskus. Geschichten um Geschichten reihen sich aneinander. Sie alle erzählen von einer innigen Freundschaft, der Sehnsucht zweier Jungen nach Freiheit und dem Ausbruch der syrischen Rebellion: Sami und Scharif sind unzertrennlich, sie wachsen wie Brüder auf. Nach seiner Flucht aus Syrien erzählt Scharif von ihrer Kindheit in den verwinkelten Gassen von Damaskus, ihren teuflischen Tricks, die Schule zu überstehen, und von ihrem Beschützer, dem weisen Postboten Elias, dem besten Lautenspieler aller Zeiten. Wie Sami sich mutig in jedes Abenteuer stürzt, weil er Unrecht nicht erträgt, und für seine Liebe Josephine sein Leben aufs Spiel setzt. Und wie er sich im Laufe der Jahre so viele Narben holt, die jede wieder ihre eigene Geschichte hat. Bald passieren Dinge, die ihnen die Augen öffnen. Als der Widerstand gegen den Diktator wächst und der Aufstand in Daraa ausbricht, müssen die Freunde abtauchen. Seitdem hat sich die Spur von Sami verloren.

Dieses Buch ist anders als die meisten Bücher des Autors. Diesmal tritt Schami nicht als orientalischer Märchenerzähler auf, der mehr oder weniger fiktive Biographien wie Bogen bunter Bilder auffächert. Der sich von einer Geschichte zur nächsten hangelt, dazwischen eine dritte entdeckt, den Umweg über eine vierte nimmt, die in eine weitere mündet und irgendwann und –wie zurückfindet.
Der Geschichtenerzähler-Autor findet sich in diesem Buch in der Rolle des Mediums: Scharif, der junge Syrer, der Unterschlupf bei einem deutschen Ehepaar gefunden hat, bittet darum, dass seine Geschichte zu Papier gebracht wird. Es geht dabei nicht, wie man vermuten könnte, um die Flucht, sondern um das Leben in Syrien. Vor der Revolution und heute.
Dem, was Scharif berichtet, haftet nichts Märchenhaftes mehr an. Man liest nichts mehr vom lärmenden bunten Treiben auf den Gassen und Höfen, den verstrickten und liebevollen Familienbanden, den Festbuffets aus den Küchen der Mütter und Großmütter. Der Alltag in Scharifs Gasse ist karg, die Angst vor Spitzeln des Geheimdienstes geht um, die Gefahr, eingesperrt, gefoltert, getötet zu werden, ist allgegenwärtig. Nicht einmal die Schule bietet Kindern Sicherheit, und auch nicht das elterliche Heim.
Daher ist für Scharif und Schami ihre Freundschaft das Wichtigste; sie ist, neben den Müttern, die einzige Beziehung, in der uneingeschränktes Vertrauen entstehen kann und die Sicherheit, sich auf einen anderen verlassen zu können.
Während die Elterngeneration versucht, sich mit der Bespitzelung, der Unfreiheit und der Angst irgendwie zu arrangieren und dem zum Trotz ein normales Leben zu führen, begehren die Jugendlichen auf. Durch ihre Computerkenntnisse sind sie zunächst im Vorteil, aber ihr Engagement für ein freies Syrien endet in der Flucht.

Schon in „Sophia oder Der Anfang aller Geschichten“ thematisiert Schami die Gefahr, der man in Syrien permanent ausgesetzt ist. Hier rückt sie dem Leser noch dichter auf den Pelz, denn es sind Kinder, später Jugendliche, die konkret bedroht werden. Die Angst kriecht aus der Fiktion in die Wirklichkeit.

„Für die tapferen Kinder von Daraa, die im Frühjahr 2011 rebellierten, um den Erwachsenen zu helfen, aufrecht zu gehen“, so Schamis Widmung. Aber was 2011 passierte, war eigentlich nur die Reaktion auf einen Krieg, der von Geheimdiensten und Regierung längst geführt wurde.

Ein Buch für politisch interessierte Jugendliche UND Erwachsene.