Was man für Freiheit riskiert
Bewertet mit 4 Sternen
Dieses Buch ist anders als die meisten Bücher des Autors. Diesmal tritt Schami nicht als orientalischer Märchenerzähler auf, der mehr oder weniger fiktive Biographien wie Bogen bunter Bilder auffächert. Der sich von einer Geschichte zur nächsten hangelt, dazwischen eine dritte entdeckt, den Umweg über eine vierte nimmt, die in eine weitere mündet und irgendwann und –wie zurückfindet.
Der Geschichtenerzähler-Autor findet sich in diesem Buch in der Rolle des Mediums: Scharif, der junge Syrer, der Unterschlupf bei einem deutschen Ehepaar gefunden hat, bittet darum, dass seine Geschichte zu Papier gebracht wird. Es geht dabei nicht, wie man vermuten könnte, um die Flucht, sondern um das Leben in Syrien. Vor der Revolution und heute.
Dem, was Scharif berichtet, haftet nichts Märchenhaftes mehr an. Man liest nichts mehr vom lärmenden bunten Treiben auf den Gassen und Höfen, den verstrickten und liebevollen Familienbanden, den Festbuffets aus den Küchen der Mütter und Großmütter. Der Alltag in Scharifs Gasse ist karg, die Angst vor Spitzeln des Geheimdienstes geht um, die Gefahr, eingesperrt, gefoltert, getötet zu werden, ist allgegenwärtig. Nicht einmal die Schule bietet Kindern Sicherheit, und auch nicht das elterliche Heim.
Daher ist für Scharif und Schami ihre Freundschaft das Wichtigste; sie ist, neben den Müttern, die einzige Beziehung, in der uneingeschränktes Vertrauen entstehen kann und die Sicherheit, sich auf einen anderen verlassen zu können.
Während die Elterngeneration versucht, sich mit der Bespitzelung, der Unfreiheit und der Angst irgendwie zu arrangieren und dem zum Trotz ein normales Leben zu führen, begehren die Jugendlichen auf. Durch ihre Computerkenntnisse sind sie zunächst im Vorteil, aber ihr Engagement für ein freies Syrien endet in der Flucht.
Schon in „Sophia oder Der Anfang aller Geschichten“ thematisiert Schami die Gefahr, der man in Syrien permanent ausgesetzt ist. Hier rückt sie dem Leser noch dichter auf den Pelz, denn es sind Kinder, später Jugendliche, die konkret bedroht werden. Die Angst kriecht aus der Fiktion in die Wirklichkeit.
„Für die tapferen Kinder von Daraa, die im Frühjahr 2011 rebellierten, um den Erwachsenen zu helfen, aufrecht zu gehen“, so Schamis Widmung. Aber was 2011 passierte, war eigentlich nur die Reaktion auf einen Krieg, der von Geheimdiensten und Regierung längst geführt wurde.
Ein Buch für politisch interessierte Jugendliche UND Erwachsene.