Rezension

Wer bin ich?

Der zweite Jakob -

Der zweite Jakob
von Norbert Gstrein

"Natürlich will niemand sechzig werden, jedenfalls nicht als Jubilar, und natürlich will niemand, der bei Sinnen ist, ein Fest, um das auch noch zu feiern." An seinen Geburtstagen fährt der Schauspieler Jakob Thurner immer weg, und er will die Möglichkeit, "wenigstens meinen Rücken frei zu haben und nicht fürchten zu müssen, dass jemand von hinten kam, ein Feind, ein Widersacher, ein Landsmann oder Freund." Diesen kommenden Geburtstag will er mit seiner Tochter verbringen, dem einzigen Menschen, zu dem er eine echte Beziehung hat, und er will mit ihr quer durch Amerika reisen. Doch es kommt anders: Monate vorher hat sie ihn einmal gefragt, was das Schlimmste sei, das er in seinem Leben getan habe, und als er ihr eine der beiden Situationen erzählt, die ihn im Rückblick sein Leben lang beschäftigen, geht sie auf Distanz. Jakob wird auf sich selbst zurückgeworfen und muss sich mit seinen Erinnerungen auseinandersetzen, mit dem Bild, das er von sich hat und mit dem, was ihm wichtig ist im Leben.

Der Schauspieler erzählt selbst sein Leben: Einerseits die Gegenwart, die Auseinandersetzung mit seiner Tochter, den Konflikt mit dem Schriftsteller, der eine Biographie über ihn schreiben möchte, die Begegnungen mit Freunden und Freundinnen, Kollegen, Ex-Ehefrauen, einer jungen Geliebten - und andererseits die Vergangenheit, seine Erfolge am Theater und im Film und die Dreharbeiten in Amerika, bei denen er in zwei Situationen so ganz anders handelte als er es von sich selbst erwartete. Stimmt sein Selbstbild überhaupt? Wer ist er denn eigentlich? Schon sein Name ist erfunden, er hat ihn als Bühnenname gewählt und dabei den Vornamen nach seinem Onkel ausgesucht, der sein Leben fernab von allen Erwartungen geführt hat. Als Schauspieler schlüpft er ständig in andere Rollen und seit er in seinem ersten Film einen Mörder gespielt hat, werden ihm ständig ähnliche Rollen angeboten. Was davon ist echt?

Ein alternder Mann auf der Suche nach einem Sinn im Leben; so sehe ich Jakob. Er muss seine Erinnerungen verarbeiten, er hat zum ersten Mal einen großen Fehler eingestanden und muss sich mit seinem Selbstbild auseinandersetzen, und er muss feststellen, dass er eigentlich kaum tragfähige Beziehungen hat. Bisher hat er das alles überspielt, doch der Geburtstag konfrontiert ihn. Die Statue mit den merkwürdigen Augen zeigt auf plastische Weise, wie sich ein Blick ändern kann. Die Suche nach Identität sehe ich auch in den Überschriften der Buchteile: "Sag ihnen, wer du bist", "Du bist dieser hier", "Warum alles anders ist I & II" und "Ein Kind im Winter". Der Schluss bleibt offen, und um nicht zu spoilern, schreibe ich nicht, was ich vermute.

Das Buch liest sich flüssig; der Protagonist ist nicht rundherum sympathisch, doch mit seinen Täuschungen und Selbsttäuschungen hat er mich interessiert.

Das Buch steht auf der Nominierungsliste zum Deutschen Buchpreis 2021.

Kommentare

Arbutus kommentierte am 24. September 2021 um 22:25

Das wäre ja mal wieder ein Buchpreisbuch, das mich wirklich interessiert. Ich packe es mal auf meine an sich hoffnungslos überfüllte Wunschliste (die genauso überfüllt ist wie mein SUB). Danke für die schöne Empfehlung, Firi!

wandagreen kommentierte am 05. Oktober 2021 um 23:48

Lies es bloß nicht, Arbutili. Es ist stinklangweilig.