Rezension

Wichtiges Thema, aber nicht das stärkste Buch der Autorin

Der Wind kennt meinen Namen -

Der Wind kennt meinen Namen
von Isabel Allende

Samuel Adler erlebt mit 6 Jahren den Aufstieg der Nazis in Wien. Irgendwann ringt sich seine Mutter vor Verzweiflung dazu durch, ihn mit einem Kindertransport nach England zu schicken. Sein Lebensweg führt ihn schließlich als Musiker in die USA.
Jahrzehnte später flüchtet das kleine Mädchen Letitia mit ihrem Vater in die USA, nachdem ihr gesamtes Dorf in El Salvador einem Massaker zum Opfer gefallen ist.
Und wiederum Jahrzehnte später flüchtet die sehbehinderte 7jährige Anita mit ihrer Mutter vor willkürlicher Gewalt aus El Salvador in die USA. Doch die Einwanderungsbehörden trennen Mutter und Kind. Nun ist Anita allein und wird von der Sozialarbeiterin Selena Duran und dem hochkarätigen Anwalt Frank Agileri vertreten, die einerseits versuchen, Anita das Aufenthaltsrecht zu erstreiten und andererseits, sie mit ihrer Mutter wieder zu vereinen.

Inhaltlich bietet dieses Buch die geballte Tragik. Es greift verschiedene Fluchtgeschichten zu unterschiedlichen Zeitpunkten der Geschichte auf und zeigt viele Parallelen sowie die Not der Geflüchteten auf. Allende versucht zu vermitteln, dass niemand aus Spaß flieht und dass die Flucht kein Spaziergang ist. Meiner Meinung nach gelingt es ihr aber nicht immer, die Emotionen auch passend zu vermitteln. An manchen Stellen fand ich die Geschichte auch etwas dick aufgetragen. Natürlich hat auch Selena einen Fluchthintergrund, der mit ihrer Urgroßmutter begann. Und damit Frank sich nicht so fehl am Platz fühlt, bekommt er im Verlauf des Buchs ebenfalls eine Migrationsgeschichte großväterlicherseits aus Italien. Ein bisschen Klischee darf auch nicht fehlen: Frank, der hochkarätige Anwalt, der Anwärter auf eine Partnerschaft in der Kanzlei, entdeckt zunehmend seinen weichen, unkapitalistischen Kern. Und auch wenn er immer wieder (bis zum Abwinken) betont, dass Selena so gar nicht in sein Beuteschema passt (zu moppelig, zu ungepflegt, zu wenig stilbewusst), kann man ja vielleicht trotzdem ein bisschen; schließlich hat sie irgendwie Ausstrahlung. Als dann alle Figuren zusammenfinden, gibt es auch noch ein bisschen Feel-Good-Vibes. Ich war auch etwas überrascht von dem eher einfachen Erzählstil. Ich hatte Allende von ihren früheren Büchern eher als gehobene Unterhaltungsliteratur in Erinnerung.
Ich weiß nicht, ob es der Zynismus des Asylsystems ist oder ein Detail des Buches, aber zwischenzeitlich weiß man gar nicht, ob man Anita nicht doch lieber wünschen sollte, dass ihre Mutter verschwunden bleibt. Denn dann würde sie als unbegleitete Minderjährige gelten und erhielte leichter das Aufenthaltsrecht. Dieser Zwiespalt wurde mir zu wenig beleuchtet. Überhaupt lässt Allende einige Gelegenheiten zur Gesellschaftskritik ungenutzt liegen. Gerade das Ende, das mir etwas abrupt kam, hätte man nochmal richtig kritisch beleuchten können, denn das Asylrecht spielt eine große Rolle dabei. Aber ich hatte das Gefühl, dass Allende lieber nicht allzu viel am großen Nachbarn kritisieren wollte. Dennoch muss man ihr auch dankbar sein, denn sie bringt das Thema Fluchterfahrungen und Behandlung von Geflüchteten in die Unterhaltungsliteratur und bereitet es so auf, dass es gut verdaulich bleibt, ohne einen großen Teil der Lesenden abzuschrecken. Und das ist durchaus wichtig, denn es gibt ja durchaus Studien, die zeigen, dass Literatur die Empathie fördern kann. Und wenn durch dieses Buch ein paar Menschen mehr ihre Menschlichkeit und ihr Mitgefühl mit den weniger Glücklichen entdecken, dann ist doch auch schon viel gewonnen. Für mich war dieses Buch jedenfalls nicht eines der stärksten der Autorin.