Rezension

Zauberhaft

Liebten wir
von Nina Blazon

Schon seit langer Zeit fiebert Mo dem Tag entgegen, an dem sie der Familie ihres Freunde vorgestellt wird. Sie ist nervös, will einen guten Eindruck hinterlassen, lässt aus Rücksicht auf Leons Schwester Inna sogar ihre Kamera im Auto. Sie will gefallen. Aber Leons Familie will sie nicht. Mo hat von Anfang an keine Chance. Als sie Leon dann ausgerechnet mit ihrer Schwester Dani erwischt, packt sie der Fluchtinstinkt. Nur weg. Blöd nur, dass ausgerechnet Aino, Leons finnische Großmutter, sich ihr anschließt. Die beiden verstehen sich nicht, Aino behandelt sie sogar regelrecht feindselig. Umso verwunderlicher, dass die beiden zusammen fliehen. Vor ihrer Vergangenheit, ihrer Gegenwart, ihrer Zukunft. Sie lassen einiges zurück, nehmen nur wenig mit auf die Reise, die sie schließlich nach Finnland führt. Eine Reise, die sie zusammenschweißt. Die sie einander näher bringt, als beiden Frauen lieb ist. 

Liebten wir liest sich anders als Nina Blazons fantastische Jugendbücher. Weniger poetisch, weniger malerisch, dafür direkter, härter, nüchterner. Was mich an Nina Blazons immer am meisten fesseln konnte, war ihre Sprache, ihren Schreibstil, den ich sofort wiedererkannt habe. Hier schreibt sie anders, es könnte irgendwer sein. Der Stil ist nicht schlecht, aber er reißt mich auch nicht mehr so mit. Auch der Plot zieht sich in die Länge, ich habe eine gefühlte Ewigkeit gebraucht. Ich fand es nicht langweilig, aber ich konnte nie mehr als hundert Seiten am Stück lesen, weil nicht besonders viel passiert. Es gibt viele Erinnerungsschnipsel, die einen Eindruck geben, dass in Mos Vergangenheit etwas Furchtbares passiert. Etwas, das ihre Mutter betrifft, und das Wasser. Aber was genau das ist, vor dem Mo davon läuft, erfährt man erst nach und nach. Mos Flucht vor der Vergangenheit ist für die Leser eine Suche nach eben dieser.  

Liebten wir ist ein ruhiger, nachdenklicher Roman. Der Hauptfokus liegt auf ihrer gemeinsamen Reise nach Finnland und der Person, die Großmutter Aino sucht. Immer wieder geht es auch um die Kunst der Fotografie und die unterschiedlichen Arten, mit ihr umzugehen. Darum, was man für Momente einfangen kann, und ob diese eingefrorenen Momente die Wahrheit oder eine Lüge erzählen. Mo sucht nach den Momenten, die den Alltag durchbrechen, die die Wahrheit hinter der Fassade zeigen, winzige Augenblicke, in denen die Menschen sich unbeobachtet fühlen. Daraus fantasiert sie sich wüste Geschichten zusammen, über fremdgehende Männer, schlechte Eltern, heimliche Liebschaften. Beide Themen - die Fotografie und die Finnlandreise - sind ansprechend -, und beide spiegeln sie irgendwie die Entschleunigung des Romans wieder. Es ist keine gefährliche Suche nach einer verschwundenen Person, es ist keine aktionreiche Flucht vor Leons Familie. Es ist alles sehr ruhig, langsam, nachdenklich. Dadurch habe ich sehr lange gebraucht, den Roman zu lesen, aber es hat sich auch gelohnt, denn die Geschichte ist einfach zauberhaft. 

 

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