Rezension

Zu viele Nebenthemen...

Das späte Leben -

Das späte Leben
von Bernhard Schlink

Bewertet mit 3 Sternen

Gewohnt distanziert-nüchterner Schreibstil, aber das eigentliche Thema verliert an Gewicht durch viele bedeutungsvolle Nebenthemen. Schade!

Martin erfährt mit seinen 76 Jahren, dass sein Leben bald ein Ende haben wird: Bauchspeicheldrüsenkrebs im Endstadium. Wenige Wochen verbleiben noch, in denen er seine Dinge regeln kann, bevor die Krankheit nichts anderes mehr zulassen wird, als mit Medikamenten die Schmerzen möglichst erträglich zu gestalten. Die Schockwelle, die diese Nachricht in ihm verbreitet, hat Bernhard Schlink ausgesprochen glaubwürdig vermittelt, man ist beim Lesen gleichermaßen mitschockiert.

Nun gilt es, diese Nachricht seiner Familie mitzuteilen - allen voran Martins 43jährigen Frau Ulla. Die reagiert jedoch erstaunlicherweise nur kurz betroffen und schaltet dann rasch in einen Aktionismus um, der mich zumindest verblüfft hat. Welche Reisen noch gemacht werden sollten z.B. und dass Martin ihrem gemeinsamen Sohn David, gerade einmal sechs Jahre alt, etwas hinterlassen soll, das ihm später vermitteln kann, wer sein alter Vater eigentlich war.

Im Folgenden macht sich Martin Gedanken darüber, wie er den Rest seines nunmehr nur noch kurzen Lebens gestalten und was er seinem Sohn noch mitgeben will. Der Junge, der kurz vor dem Schuleintritt steht, ist noch zu klein, um das Weitreichende der Erkrankung seines Vaters wirklich erfassen zu können. Aber Martin möchte ihm Erinnerungen mitgeben, die David in seinem künftigen Leben ohne Vater begleiten können. Ein Komposthaufen als gemeinsames Projekt, eine gemeinsame Wanderung, ein langer Brief sind Teile dieses Plans.

Der Umgang Martins mit seinem Sohn ist durchaus liebenswürdig, wirkt insgesamt jedoch sehr altbacken. So manches Mal fühlte ich mich an die durch die Medien bekannten Eltern von Kai Julius erinnert ( https://www.spiegel.de/video/spiege...gerschaft-statt-menopause-video-99... ), und ich musste aufpassen, diesen Roman nicht zumindest passagenweise als Persiflage zu lesen. Immerhin könnte Martin altersmäßig eher der Großvater von David sein als sein Vater, und so verhält er sich auch. Allein sein Ansinnen, David per Brief den emotionalen Wert einzelner alter Möbelstücke nahezubringen - eng verknüpft mit Martins eigener Familiengeschichte -, damit diese auch für David eine Bedeutung erhalten und er sie auch weiterhin bewahrt, erschien mir doch recht realitätsfern.

Aber ja, es gibt solche Familienplanungen, ein sehr alter Vater, eine mittelalte Mutter, ein kleines Kind. Da ist dann vieles anders als in anderen Familien, und darum geht es hier ja in erster Linie auch nicht, also sollte man sich daran auch nicht weiter stören. Ebenso wenig wie an einigen medizinischen Fakten rund um das Thema Bauchspeicheldrüsenkrebs, die hier doch sehr vereinfacht werden und einer Realitätsprüfung vermutlich nicht wirklich standhalten könnten. Hier geht es in erster Linie darum, was die Gewissheit vom baldigen Tod Martins auslöst.

Leider fokussiert sich Bernhard Schlink nicht auf diesen Prozess, sondern verliert sich immer wieder in Nebenthemen und Nebensächlichkeiten, so zumindest mein Empfinden. Zudem gelingt die Charakterzeichnung hier nur bedingt. Martin, der in Geschlecht und Alter dem Autor nahesteht, erscheint mir als Person noch am glaubwürdigsten, auch wenn er mir an der ein oder anderen Stelle zu gutmenschhaft agierte und mich sein ewiges Potenzgehabe zusehends nervte. Ulla dagegen wirkt wenig greifbar, sehr distanziert, als Mutter eher lieblos und wenig einfühlsam, und je nach Situation auch widersprüchlich - alles in allem leider sehr konstruiert.

Das Ende dann konnte mich mit dem Roman versöhnen, weder Kitsch noch Abschweifungen, kein übermäßiges Drama aber dennoch berührend, die Szene verlassend, bevor Martin endgültig stirbt. Das hat mir gut gefallen.

Alles in allem ein Roman mit Stärken und Schwächen, aber ganz gewiss nicht Schlinks bestes Werk.

 

© Parden