Rezension

Unvollständiges Urteil über einen grandiosen Roman

Unsere Jahre auf Fellowship Point -

Unsere Jahre auf Fellowship Point
von Alice Elliott Dark

Bewertet mit 5 Sternen

Dieser Roman brauchte 17 Jahre bis zu seiner Vollendung. Und er hat es verdient, dass sich der Leser für die 730 Seiten viel Zeit nimmt. Denn dieser Roman ist nicht einfach zum Herunterlesen geschrieben worden, ganz im Gegenteil. Er verlangt Hingabe. Hingabe an die außerordentlich schöne Sprache und Hingabe an den außerordentlich vielfältigen und vielschichtigen Inhalt. Doch mir blieben nur drei Wochen Zeit, um mein Urteil abzugeben. Drei Wochen Lese-, Denk- und Schreibzeit sind dieses großen Romans nicht würdig! Und so schreibe ich meine Eindrücke termingerecht, aber ohne das Buch bis zu Ende gelesen zu haben. Man möge mir diesen „unvollständigen“ Eindruck verzeihen. Mir jedenfalls bleibt anschließend weitere genussvolle Lektüre-Zeit ohne Abgabedruck.

Aus oben genanntem Grund zitiere ich auszugsweise zur Inhaltsangabe  das, was der Verlag sehr schön in Worte gefasst hatte. (Ein Vorgehen, das ich normalerweise nie wähle.) „Agnes und Polly sind von Kindheit an miteinander verbunden. Schon als Kinder verbrachten sie jeden Sommer mit ihren Familien auf Fellowship Point an der Küste Maines und haben seither Glück und Kummer geteilt. Die fürsorgliche Polly hat ihr Leben ihrer Familie gewidmet, die unabhängige Agnes ihres dem Schreiben. Als die Zukunft von Fellowship Point auf dem Spiel steht, geraten die Dinge in Bewegung…“

Und ich zitiere mein erstes Fundstück der Lektüre: „Gewohnheiten füllten die Fissuren eines alternden Körpers und Geistes.“ Allein an diesem Satz blieb ich tagelang hängen. Aber er wird wohl nur von jemandem verstanden, der aufgrund des höheren Alters diese Fissuren kennt und sich mit Regelmäßigkeit und Gewohnheiten bei Laune hält. So wie Agnes, diese aufrechte, stolze, oftmals schroff wirkende Frau, die als Schriftstellerin sehr erfolgreich war, aktuell aber von einer Schreibblockade „befallen“ wird. Polly, ihre Lebenszeit-Freundin, ist ihrem sich selbst überschätzenden Ehemann unterwürfig und sieht ihre Lebensaufgabe darin, die Welt freundlicher zu machen. Agnes dagegen steht für einen  unabhängigen, lautlosen Feminismus. Der Roman beleuchtet dieses Frauenpaar und deren lebenslange Freundschaft aus unterschiedlichen Perspektiven in Gegenwart und Vergangenheit. Rund um diese beiden Frauen treten verschiedene Personen ins Blickfeld, werden präzise beobachtet und verschwinden auch wieder, wie im richtigen Leben. Die 17 Jahre Entstehungsgeschichte des Romans schaffen eine ganz besondere Weitsicht des Lebens. Eine Fülle an Themen und Ansichten regt zum Nachdenken, oftmals auch zum Widerspruch an. Hinreißend schön, geradezu zart in Worte gefasst sind eingestreute Naturbeobachtungen. Um die Vielfalt des Romans und die volle Schönheit der Sprache zu erfassen, braucht es wache Sinne und viel Zeit. Nur so gelingt es, alle feinen Facetten dieses grandiosen Romans zu erfassen.