Rezension

Eine alte Dame erzählt

Das Philosophenschiff -

Das Philosophenschiff
von Michael Köhlmeier

Bewertet mit 4 Sternen

Die hundertjährige Architektin Anouk Perleman-Jacob hat vor einiger Zeit mit dem Rauchen begonnen. Sie will es dem Tod, der sicher bald kommt, etwas leichter machen. Weil der Schriftsteller dafür bekannt, nicht immer ganz bei der Wahrheit zu bleiben, ist genau der Richtige, um einen Teil ihrer Lebensgeschichte zu erzählen. Und tatsächlich nimmt der Autor sich der Aufgabe an. Manchmal ist es leichter sich unter Fremden zu unterhalten und seine Geschichte zu erzählen. Als junges Mädchen wurde sie gemeinsam mit ihren Eltern im Jahr 1922 aus Petersburg verbannt. Auf einem Passagierschiff müssen sie Russland mit unbekanntem Ziel verlassen.

 

Anouk Perleman-Jacob hat ihren Weg gemacht. Über Deutschland und Amerika hat sie ihr Weg nach Österreich geführt. Doch von ihrer Karriere, ihrem Privatleben will sie nur am Rande erzählen. Nein, ihr geht es um die Ausweisung von ihrer eigenen Regierung aus ihrem Heimatland, aus ihrer Heimatstadt. Was hat ihrer Meinung nach dazu geführt? Und wieso verliert das Schiff plötzlich an Fahrt? Geht es ihnen nun allen an den Kragen? Offensichtlich nicht, denn dann wäre Anouk nicht mehr da, um zu berichten. Ein anderes Boot geht längsseits und ein geheimnisvoller Reisender wird an Bord gebracht.

 

Wenn ein Roman zum Nachforschen animiert, was Fiktion ist und was Wahrheit, dann ist der Ansatz gelungen. Wie auch in den Informationen zu lesen, handelt es sich tatsächlich teilweise um geschichtlich belegte Ereignisse. Anouk und ihre Lebensgeschichte in diesen Kontext hineinzuschreiben hat etwas Besonderes. Man fragt sich selbst, wie wäre es, wenn das Land einen als unliebsam  abstempelt und einen ausweist. Keine schöne Vorstellung. Das macht etwas mit einem, das Weltbild wird verrückt. Vielleicht wird man auch selbst verrückt. Anouks Resilienz ist spektakulär und auch wie pfiffig sie mit dem Autor spielt. Da muss der Autor fast schon kriminalistische entwickeln, um zu kontern. Einzig der Sinn mancher Nebensätze erschließt sich nicht immer. Anouks Geschichte dagegen berührt, der geheimnisvolle Fremde gibt Rätsel auf und die Nominierung dieses Romans sowohl für den deutschen als auch für den österreichischen Buchpreis erscheint mehr als gerechtfertigt.

 

Das Titelbild mit dem in der Ferne sichtbaren Dampfschiff in der ein wenig diesig und trostlos wirkenden Küstenlandschaft passt gut zu der Stimmung, die einen wohl überfällt, wenn man vom eigenen Land den Stuhl vor die Tür gestellt bekommt.