Rezension

Ein eindringliches Sittenbild des heutigen Amerika.

Die Topeka Schule - Ben Lerner

Die Topeka Schule
von Ben Lerner

Bewertet mit 5 Sternen

Ein Wortmächtiger breitet seine Geschichte aus. Der Autor Ben Lerner erinnert sich in "Die Topeka Schule" an die Clinton-Ära. Er verbindet Autofiktion originell mit politischem Scharfblick. Adam Gordon geht auf die Topeka-High-School, er steht kurz vorm Abschluss. Seine Mutter Jane ist eine berühmte feministische Autorin, sein Vater Jonathan ein Experte darin, "verlorene Jungs", gestörte Jungen aus kaputten Familien ohne Geld und Bildung,  wieder zum Sprechen zu bringen, darunter auch den mit Adam gleichaltrigen Darren, der vierten und so ganz anderen Hauptperson in eigenen Kapiteln. Sie beide sind in einer psychiatrischen Einrichtung tätig, in der Therapeuten und Patienten aus der ganzen Welt zusammenkommen. Adam selbst ist ein bekannter Debattierer, alle rechnen damit, dass er die Landesmeisterschaft gewinnt, bevor er auf die Uni geht. Er ist ein beliebter Typ, cool und ausschreitungsbereit, besonders sprachlich, damit keiner auf die Idee kommt, er könnte auch schwach sein. Amber erzählt ihrem Adam von abrupt beendeten Mahlzeiten mit dem Stiefvater und wie "scheißjämmerlich dieser Typ ist": "Er merkt immer noch nicht, dass das Publikum nach Hause gegangen ist, während er einfach immer weiterlabert." Der Zuhörer, 17 Jahre alt und wortgewandter Sieger bei Debattierwettbewerben, zürnt der Freundin, weil sie mitten in einer Bootspartie plötzlich laut-und spurlos verschwunden ist. "Adam sollte zwanzig Jahre brauchen, um die Analogie zwischen diesen beiden heimlichen Fluchten, der aus dem Esszimmer und der von dem Boot, zu begreifen." Diese zwei Jahrzehnte umspannt Lerners Roman. Mit wechselnden Stimmen erzählt Lerner von der Grenze sprachlicher Verständigung in Adams Jugendjahren, als Bill Clinton 1997 zum zweiten Mal Präsident der Vereinigten Staaten geworden ist. Adam hat ein Herz für Außenseiter, und so freundet er sich mit Darren an – er weiß nicht, dass der einer der Patienten seines Vaters ist –, und führt ihn in seine Kreise ein. Die netten Eltern mit Geld und Bildung sehen es gern, dass Adam und seine Mittelklasse-Clique Darren ins sozial so hübsch aussehende Schlepptau nehmen. Mit desaströsen Folgen …denn, in entscheidenden Augenblicken zeigen sich Klassenschranken genauso erbarmungslos wie das Gefälle zwischen den Wortmächtigen und denen ohne jede Macht. So wie Adams Coach bei den Debattier-Meisterschaften, angeheuert als politisch nicht ernstzunehmender, aber brillanter Rastelli für die immer unschlagbare Redestrategie, egal um was es geht, zehn Jahre später "zum Schlüsselarchitekten der rechtesten Regierung wird, die Kansas je erlebt hat". Die Topeka Schule ist mit dieser Personengalerie randvoll spannender und origineller Blicke sowohl als individuelle Coming-of-Age-Geschichte wie auch als Zeit-und Gesellschaftsbild, die Geschichte einer Familie um die Jahrtausendwende. Die Geschichte einer Mutter, die sich von einer Missbrauchsgeschichte befreien will; von einem Vater, der seine Ehe verrät; von einem Sohn, dem die ganzen Rituale von Männlichkeit suspekt werden und der zunehmend verstummt. Es ist eine Geschichte von Konflikten und Kämpfen und versuchten Versöhnungen. In einer an Wundern reichen Sprache erzählt Ben Lerner vom prekären Zusammenhalt einer Familie, von fraglichen Vorbildern und vom drohenden Zusammenbruch privater und öffentlicher Rede. Lerner konstruiert mitunter etwas zu offensichtlich, etwa wenn es um den hochexplosiven Sexualneid des "Unterschicht"- Kids Darren geht, der bei den begehrten Mittel-und Oberklassemädels dann doch nicht landen kann. Andererseits ist es Darrens Geschichte, die dem Buch Drive und Spannung verschafft. Die Art, wie dabei das Historische und das Persönliche miteinander verwoben werden, stärkt unseren Glauben daran, was Literatur heute zu leisten vermag. Ein Buch am Puls der modernen Zeit.