Rezension

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Agententhriller mit Mehrwert

Argwohn - Jenk Saborowski

Argwohn
von Jenk Saborowski

Eine Explosion erschüttert Amsterdam: Das Hauptquartier der ECSB, der mit grenzüberschreitenden Befugnissen ausgestatteten Strafverfolgungsbehörde wird Opfer eines Bombenanschlags. Die irritierten Überlebenden werden von Maskierten brutal hingerichtet, nur Solveigh Lang und einigen wenigen Kollegen gelingt die Flucht. In München findet unterdessen Kriminalhauptkommissar Paul Regen einen konservierten menschlichen Arm. Sich in den Fall verbeißend, deckt er eine Serie von über viele Jahre und den gesamten europäischen Kontinent verteilten bizarren Morden auf. Zur selben Zeit fallen zwei moldawische Mädchen getrieben von der Hoffnung auf eine Karriere im Model-Geschäft einem international agierenden Menschenhändlerring in die Hände.

Im mittlerweile dritten Teil um die Geheimagentin mit dem ausgprägten Geruchssinn bleibt der deutsche Autor Jenk Saborowski dem altbewährten Erzählstil treu: Die Perspektive ist auktorial, die kurzen Kapitel wechseln zwischen den drei bis vier Handlungssträngen und enden zur Erzeugung und Erhaltung knisternder Spannung natürlich mit offenen Enden. Zusätzlich sind die Abschnitte nicht nur numeriert, sondern auch mit Zeit- und Ortsangabe versehen, was einerseits implizit den Zeitdruck der Ermittler illustriert, andererseits auf typographischer Ebene eine Verbindung zu den beiden Vorgängerbänden "Operation Blackmail" und "Biest" erzeugt.

Wie angegeben, darf der Leser dem Roman in drei Teilen folgen, wobei der große Zusammenhang erst gegen Ende offenbart wird.

Im Hauptteil wird dem Leser geboten, was er sich nach der Lektüre von "Operation Blackmail" und "Biest" erwarten darf: rasante Verfolgungsjagden, knallharte Action und eine Spitzenagentin, die zwar einerseits als weiblicher James Bond agiert, andererseits jedoch unter ihrer ganz persönlichen Achillesferse leidet und sich sogar die Frage stellt, wie sich körperliche Verschleißerscheinungen auf ihren Beruf auswirken. Zudem erfüllt der Autor mit raschen Schauplatzwechseln, falschen Identitäten und technischen Gadgets alle Erwartungen, die an einen Spionageroman gestellt werden.

Mit Figuren, die Namen wie Paul Regen und Adelheid Auch tragen und Wortspielen wie "Paul Regen haßte Regen." erzeugt der Autor im zweiten Teil von Beginn an einen Kontrast zu den actiongeladenen Geschehnissen um die supernationale Behörde. Mit schwarzem Humor erzählend, rückt er diesen Teil in die Nähe einer Satire und läßt somit den bewußt schrullig gezeichneten Münchner Kommissar wie die Hauptfigur eines Schelmenromans wirken. Diese Gattung kann auf eine jahrhundertelange Tradition verweisen und läßt in Werken wie dem "Simplicissimus", Heinrich Bölls "Ansichten eines Clowns" oder Günter Grass' "Blechtrommel" einen ungebildeten oder benachteiligten Helden die Konventionen seiner Welt entdecken und hinterfragen. Im konkreten Fall erlangt Jenk Saborowski, seinen Kommissar als Sprachrohr benutzend, Narrenfreiheit, um für das Genre des Agententhrillers unüblich, eine ordentliche Prise Salz in offene gesellschaftliche Wunden zu streuen. So spricht er etwa die Wegwerfmentalität der Gesellschaft an, die auf defekte Elektrogeräte gleich wie auf Menschen angewandt wird.

Der dritte Teil schließlich handelt von Ioana und Lila, zwei moldawischen Mädchen, die mit dem Versprechen einer Karriere als Photomodell aus ihren Heimatdörfern ins weit entfernte Deutschland gelockt werden. Obwohl dem Leser von Beginn an klar ist, daß die beiden zu Opfern international agierender Menschenhändler werden, bleibt es in jedem Moment nachvollziehbar, wie die beiden der Meinung sind, ihren Träumen zu folgen, ohne dabei naiv zu wirken. Ausführlich, beinahe gemächlich und genau deshalb umso erschütternder schildert der Autor, wie falsche Hoffnungen geweckt und an der harten Wirklichkeit zerschmettert werden. Allzu leicht wäre es, zur Verdeutlichung der Situation ein hinterwäldlerisches Bauernidyll mit einer kalten menschenverachtenden Außenwelt zu kontrastieren. Jenk Saborowski wählt einen anderen Zugang: In "Argwohn" sind die Grenzen diffus, kaum erkennbar gezeichnet, sodaß die Mädchen erst, als es bereits zu spät ist, bemerken, daß sie arglistig getäuscht wurden.

Bemerkenswert ist auch, wie der Autor die Trennung der unterschiedlichen Teile nicht nur inhaltlich, sondern auch auf formal-sprachlicher Ebene realisiert. Fällt der Erzählton in den Kapiteln um Agentin Solveigh Lang knapp, präzise, pragmatisch aus, so wirkt er in jenen um den Münchner Kommissar leicht schrullig und verspielt. Sich anbietende Wortspiele werden freudig zelebriert, die schrullig-verschnörkelte Rhetorik spiegelt dabei den Charakter des Ermittlers. Einfache Begriffe und Satzstrukturen prägen schließlich die Erzählung der beiden rumänischen Mädchen, was diesem dritten Teil eine beinahe märchenhafte Atmosphäre verleiht, die schließlich sukzessive wieder entzaubert wird.

Dem Autor eröffnet sich durch dieses Sprechen mit unterschiedlichen Stimmen außerdem die Möglichkeit, kontroversielle Sachverhalte aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten, ohne die neutrale Erzählerrolle aufgeben zu müssen. So wird von den Agenten der ECSB wie selbstverständlich auf das Instrument der Voratsdatenspeicherung zugegriffen, während Kommissar Paul Regen vom Ausmaß der Überwachungsmaßnahmen regelrecht schockiert scheint.

Fazit:

Obwohl Liebhaber spannender Agententhriller voll auf ihre Rechnung kommen, sind es doch die leisen Passagen, mit denen "Argwohn" überzeugt. Mit nuancierten, weitgehend klischeefreien Darstellungen menschlicher Schicksale stellt der Autor seine sprachliche und erzählerische Reife unter Beweis.