Rezension

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Astrid Rosenfeld bleibt dem hohen Niveau treu

Elsa ungeheuer - Astrid Rosenfeld

Elsa ungeheuer
von Astrid Rosenfeld

Bewertet mit 4.5 Sternen

Lange ist es her, dass ich mir das letzte Mal Sachen in einem Buch angestrichen habe. Die Rückkehr des Bleistifts bei der Lektüre ist Astrid Rosenfeld zu verdanken. In ihrem zweiten Buch, welches gerade erschienen ist, gibt es etliche Stellen, bei der mir das Anstreichen einfach unvermeidlich wurde.
Worum geht es? Wie in ihrem ersten  Buch ist auch dies wieder eine Familiengeschichte. Wie in ihrem ersten Buch ist auch hier die Familie keineswegs die traute Mutter-Vater-Kind-alle-sind-glücklich-Variante.

Es ist die Geschichte von Karl und Lorenz, zwei Brüdern, die in einem kleinen Dorf in der Oberpfalz leben. Karl ist der Jüngere von beiden und aus seiner Perspektive wird das ganze Buch erzählt.
Das Buch beginnt mit dem Selbstmord der Mutter und das ist schon ein harter Einstieg. Der wird allerdings auf derart flapsige und beinahe nebensächliche Art abgehakt, dass man am Ende der ersten Seite dann gleichmal den Rotwein nachschenken muss.

Karl und Lorenz sind in erster Linie auf sich selber angewiesen. Es gibt zwar noch den Vater, der ist aber nach dem Tod der Mutter nicht mehr für viel zu gebrauchen. Was man schon vorher von der Mutter erzählte, trifft nun auch immer mehr auf ihn zu – er wird langsam verrückt. Und wenn nicht verrückt, so verfällt er doch mehr und mehr dem Alkohol.
Zum Glück für die beiden Jungs gibt es noch die alte Haushälterin, die älteste Frau der Welt, wie die beiden sie nennen und das Murmeltier. Das Murmeltier ist ein älterer Herr der eine Art Dauergast in der Pension des Vaters ist.
Die beiden sind so etwas wie gegensätzliche Pole in diesem Haus. Wo die Kratzlerin bei jeder Gelegenheit das Herzjesulein anruft, erzählt das Murmeltier den beiden Jungs am Abend von seinen amourösen Abenteuern in aller Welt, saftig ausgeschmückt. Die Jungen sind zu diesem Zeitpunkt acht und elf Jahre alt.

Die Trauer um den Verlust der Mutter hält denn bei den Jungen nur kurz an, denn schon bald kommt willkommene Ablenkung in das Dorf. Die Tochter der einstigen Dorfschönheit wird beim vermeintlichen Vater abgegeben, da erstere mit ihrem neuen Mann eine Weltumsegelung macht und das Mädchen dabei leider nicht mit kann.
Schon der erste Kontakt der beiden Jungs mit Elsa wird inszeniert wie die Präsentation eines Raubtiers. Das Mädchen sitzt im Auto der Eltern, die beiden schleichen sich an, um einen Blick auf sie zu werfen, doch diese schlägt sofort von innen gegen die Scheibe und Lorenz kann nur einen kurzen Blick auf sie werfen, bevor er zurück weicht. Karl hingegen nicht einmal das.

Schnell entwickelt sich aber zwischen den beiden Brüdern und Elsa ein eigentümliche Art von Freundschaft. Während Lorenz scheinbar nicht viel mit ihr am Hut hat und nur notgedrungen Zeit mit ihr verbringt, ist es bei Karl von Anfang an grenzenlose Verehrung. Elsa ist sein ein und alles und er unternimmt alles, um möglichst in ihrer Nähe zu sein.
Außerdem darf Elsa bei den nächtlichen Anekdoten des Murmeltiers dabeisein, wenn auch ohne die Zustimmung der beiden Herren, bei denen sie wohnt.

Zur Mitte des Buches dann jedoch der Schockmoment, auf den man so gar nicht vorbereitet war: Karl wird Zeuge des Missbrauchs von Elsa! Und von diesem Moment an ist nichts mehr wie es war. Weder für Karl, noch für Elsa oder Lorenz.
Als symbolische Geste beerdigen Karl und Elsa die Lackstiefel, die Elsa sich von Karls vermeintlich erstem großen Liebesbeweis gekauft hat und die so etwas wie das Symbol ihrer Kindheit und vor allem ihrer Freiheit und Unabhängigkeit waren.

Wenn man nun kurz danach den zweiten Teil beginnt, muss man nochmal schnell zum Anfang blättern. Mir zumindest ging das so. Der zweite Teil trägt den Titel Wölfe, wie also hieß denn der erste? Achso – Hunde! Zwei Seiten der gleichen Münze, oder besser – die beiden Arten, wie man den Anhänger von Karls Mutter sehen kann, den er Elsa geschenkt hat.
Die Zeit des Gehorchens ist also vorbei und die Zeit des wilden Lebens beginnt. Naja, zumindest für einige.

Lorenz studiert in Düsseldorf Kunst und wird von einer reichen Kunstsammlerin gefördert. Als er sich allerdings mit deren rechter Hand Sebastian Mirberg anlegt, geht es für ihn ganz schnell bergab.
Was für ein Glück für ihn, das dieser wiederum aus Eitelkeit in Ungnade fällt und in die Bedeutungslosigkeit abgeschoben wird. Für Lorenz ergibt sich jetzt endlich die Möglichkeit sein Meisterwerk zu vollbringen: die Ewigkeit auf Leinwand zu bannen. Bestehend aus 86 übereinander gemalten Bildern.
Karl wird so etwas, wie das Maskottchen und ergeht sich in Drogenrausch und Liebesaffären, was das Leben an der Seite eines berühmten Künstlers eben so mit sich bringt. Das alles aber immer noch mit der unerfüllten Liebe zu Elsa im Herzen.

Jetzt hab ich schon relativ viel verraten, dennoch aber nur einen Bruchteil dessen, was das Buch zu bieten hat!
Was ist mit Elsa passiert, die im zweiten Teil scheinbar gar nicht mehr auftaucht? Ist die Kratzlerin wirklich die älteste Frau der Welt und kann sie ewig leben? Was ist mit dem Murmeltier passiert? Hat der Vater sich tot gesoffen? Und sind Elsa Mutter und ihr Liebhaber am Ende etwa auf ihrer Weltreise verloren gegangen?
Und was hat es mit dem Leben der Graugänse und Kartoffeln pflanzen im Winter auf sich? Oh, und wer war Andromeda?!

Das Buch ist so vollgepackt mit symphatischen Einzelheiten und skurrilen Persönlichkeiten, dass man am liebsten gar nicht mehr aufhören möchte zu lesen und nach der letzten Seite direkt wieder auf die erste blättert.

Also schnell in den Buchladen deines Vertrauens (meinetwegen auch die Webseite deines Vertrauens; es soll ja Leute geben, die nicht gern vor die Tür gehen..) und dieses unglaublich tolle Buch gekauft.
Wir tauschen uns dann hinterher über die angestrichenen Textstellen aus. Vorher aber – Lesen!